Unzertrennlich
zwei Fotos und sah sich ihre beiden noch einmal an.
»Ich habe sie für dich mitgebracht. Ich war froh, dass ich sie noch hatte. Weißt du, das ist das Beste am Leben, diese Freundschaften, die für immer halten. Wir sollten uns alle wirklich öfter sehen. Ich werde das mal organisieren.«
Christine kam um eine Antwort herum, denn Ines trat in die Mitte des Raumes und verschaffte sich mit einem lauten »Könnt ihr mal ruhig sein?« Gehör. Als es still wurde, zog sie zwei Blätter aus ihrer Jackentasche.
»Vielen Dank. Bevor wir an die Promillegrenze gelangen, die das Verständnis leichter Texte schwierig macht, möchte ich euch noch zwei Sachen vorlesen. Liebe Christine, Ruth hat einen Fragebogen entworfen, den alle Frauen ausfüllen mussten. Einen davon lese ich vor, die anderen habe ich für dich geheftet. Die kannst du dir später ansehen. Also:
Ines faltete den Bogen zusammen und blickte ihre Schwester an. Christine fuhr sich mit der Hand über die Augen. Sie beugte sich zu Marleen und küsste sie auf die Wange. Dann stand sie auf und ging zu Ines, legte den Arm um die Taille ihrer Schwester und sah ihre Gäste an.
»Ich glaube, ich muss jetzt auch etwas sagen, wobei ich überhaupt nicht weiß, wie ich anfangen soll. Ich bin völlig überrascht, gerührt und sprachlos. Ruth hat vorhin gesagt, ich habe ablehnend reagiert, als wir über Freundinnen geredet haben, das stimmt nicht. Ohne einige von euch wäre mein Neuanfang vor ein paar Jahren sehr viel anstrengender verlaufen. Ich war und bin froh, dass es euch gibt. Marleen hat geschrieben, dass eine Freundschaft eine dauernde Aufgabe ist. Es kann sein, dass ich die in meinem Leben nicht immer richtig gut gemacht habe. Dani, Frauke, Lena, ich werde mich in Zukunft mehr anstrengen, das verspreche ich euch. Ja, und bevor mir jetzt doch gleich die Tränen der Rührung kommen, möchte ich Ruth, Gabi, Luise und dir, Schwesterherz, für dieses Fest danken. Und vielleicht kann jemand die Musik wieder anstellen, sonst fange ich doch gleich an zu heulen.«
Ines drückte Christine kurz und machte eine Handbewegung, um das Stimmengewirr und den Applaus zu unterbrechen.
»Moment, ich bin noch nicht fertig. Ich habe noch einen Brief, den ich vorlesen möchte. Der ist zwar an Christine gerichtet, leider muss ich das Briefgeheimnis brechen, denn auf diese Antwort haben zu viele gewartet.«
Sie entnahm einem Briefumschlag einen rosafarbenen Bogen, den sie auseinanderfaltete und in die Runde zeigte. Er war in einer ungelenken Kinderschrift geschrieben, die Ränder waren mit kleinen Bildchen beklebt. Es war eindeutig der Brief einer Schreibanfängerin.
Ines räusperte sich:
Ines hob wieder den Arm, als die Ersten klatschten und lachten.
»Das ist der eine Brief. Und dann gibt es noch einen anderen. Den kann Christine vorlesen.«
Christine zwinkerte angestrengt, nahm den Umschlag von Ines und zog einen weiteren Bogen vor. Sie überflog den Text, schluckte, lächelte und las ihn dann mit belegter Stimme vor.
Liebe Christine,
als der Brief aus Hamburg kam, der mich zu Deinem Geburtstag einlud, war ich sehr gerührt und wurde gleich sentimental. Ich sah uns sofort wieder auf den Treppen vor der Schlachterei sitzen, wir hatten immer Pflaster auf den Knien, kannst Du Dich daran erinnern? Und irgendwie war immer Sommer.
Ich habe mich auf unseren Dachboden verzogen und meine alten Kisten durchsucht, so lange, bis ich diesen Brief gefunden habe. Ich habe Dir nämlich geschrieben, damals, ungefähr drei Monate nach Eurem Umzug. Aber wir hatten Eure neue Adresse verbummelt. Ich wollte den Brief unbedingt aufheben, schließlich hatte ich den ganzen Nachmittag daran geschrieben, so mit Linien ziehen, Bleistift vorschreiben, wegradieren und das genaue Kleben der Sammelbildchen. Was für eine Arbeit für eine Siebenjährige! Und dann war die Adresse weg. Ich wusste aber immer, dass Du diesen Brief irgendwann bekommen wirst, deshalb habe ich ihn 37Jahre aufbewahrt. Jetzt endlich hat es geklappt. Ist das nicht großartig? Man sollte viel öfter die Zuversicht der Siebenjährigen haben.
Ich wünsche Dir einen wunderschönen Geburtstag, mit lauter wunderbaren Erinnerungen und viel Zuversicht. Im April werde ich mit meinem Mann und meiner Jüngsten für zwei Wochen nach Deutschland kommen, meine Schwester wird fünfzig. Vielleicht können wir ein Treffen einrichten, ich würde mich sehr darüber freuen.
Vielleicht bis dahin,
ganz herzliche Grüße von
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