Unzertrennlich
sich mal wieder. Aber es klang eigenartigerweise gar nicht so, als hättet ihr keinen Kontakt mehr. Das klang ganz anders. Aber das musst du mir ja nicht erzählen. Ich bin ja nur deine dämliche Nachbarin, die das Chaos beseitigen kann, das Herr Jürgensen hinterlässt. Der muss man alles andere ja gar nicht erzählen. Danke, Christine, für dein Vertrauen.«
Christine war rot geworden und merkte überrascht, dass Dorothea Tränen in den Augen hatte. Sie zwang sich, ruhig weiterzuatmen, griff nach der Flasche und schenkte langsam Sekt nach. Jetzt nichts Falsches sagen, jetzt bloß ruhig bleiben.
Sie hatte in den letzten Monaten oft ein schlechtes Gewissen gehabt, obwohl sie sich sagte, sie würde Dorothea ja nicht anlügen, sondern ihr nur einige Dinge verschweigen. Richtig gut hatte sie sich trotzdem nicht gefühlt.
»Bist du sauer, weil ich Richard wieder treffe oder weil ich es dir nicht gesagt habe?«, fragte Christine vorsichtig.
»Beides. Wobei ich es, glaube ich, schlimmer finde, dass du kein Vertrauen zu mir hast.«
»Das hat nichts mit Vertrauen zu tun, Dorothea. Ich weiß doch selbst nicht genau, warum ich das alles überhaupt wieder angefangen habe. Wir haben uns Ende Mäz noch einmal getroffen und ich bin schwach geworden. Es ist unsäglich, nach dem ganzen Weihnachtstheater, das weiß ich auch. Irgendwie habe ich mich geschämt, dir von meiner Inkonsequenz zu erzählen, ich hatte Angst vor deiner Reaktion. Vorwürfe habe ich mir selbst schon gemacht, das kannst du mir glauben.«
Dorothea schüttelte den Kopf. »Du weißt doch gar nicht, ob ich dir Vorwürfe gemacht hätte. Es ist mir egal, mit wem du in die Kiste steigst, aber ich habe mir im letzten Winter echte Sorgen um dich gemacht. Du wurdest immer trauriger, immer dünner und blasser. In all den Jahren habe ich mit dir über Richard geschimpft oder dich in deinem Gefühl für ihn bestätigt, je nachdem, was du gebraucht hast. Das mache ich doch für dich. Freundschaft bedeutet Offenheit und Vertrauen, man ist füreinander da. Es kann doch nicht sein, dass ich nur durch einen dämlichen Zufall erfahre, dass meine Freundin ein Doppelleben führt. Das grenzt an Verrat.«
Dorothea hatte sich in Rage geredet. Beim letzten Satz fiel ihr selbst auf, dass sie theatralisch war. Sie atmete tief durch und suchte nach einem Satz, der die Stimmung besänftigte und trotzdem nichts zurücknahm. Christine sah sie hilflos an, Dorothea schob ihr Kinn trotzig vor und sagte: »Ist doch wahr.«
Sie hatte dabei einen kindlichen Gesichtsausdruck, der dem Gesagten die Schärfe nahm. Dorothea war nicht nachtragend, sie sprach nur das, was sie ärgerte, aus. Christine hatte sich erschrocken, als Dorothea anfing, jetzt stellte sich ein Gefühl der Erleichterung ein, dass es endlich ausgesprochen war. Sie strich über Dorotheas Hand.
»Es tut mir leid. Du hast ja recht, ich kann dich nicht vollheulen, wenn es mir schlecht geht und alles andere dann verschweigen. Auf der anderen Seite habe ich ein Problem mit dem Zwang zur Offenbarung. Natürlich ist Vertrauen in einer Freundschaft wichtig, aber wenn ich das ständig beweisen muss, indem ich alles sofort erzähle, fühle ich mich unter Druck. Und das möchte ich nicht.«
»Ich erzähle dir fast alles, das empfinde ich aber nicht als Druck, sondern als Erleichterung. Du redest nur über Privates, wenn man dich danach fragt.«
»Genau das ist es doch. Wenn du mir etwas erzählst, erleichtert es dich. Das hast du gerade gesagt. Aber das ist dann auch deine Entscheidung, mit mir zu reden. Ich muss einige Sachen erst mal für mich klarkriegen, bevor ich darüber reden kann. Das geht nicht gegen dich. Offenheit ist kein Tauschgeschäft, Dorothea, das musst du akzeptieren.«
Dorothea dachte nach. Vielleicht war genau dieser Punkt das Problem vieler Freundschaften.
»Ich habe immer gedacht, Vertrauen ist gegenseitig. Wenn ich dir meine Geschichten erzähle, erzählst du mir auch deine. Das ist sonst einseitig. Und…«
Christine unterbrach sie. »Vertrauen heißt doch nicht meine Geschichte gegen deine Geschichte. Vertrauen heißt, ich kann sie dir erzählen, muss es aber nicht. Vertrauen ist die Möglichkeit, mit jemandem reden zu können. Ohne Zwang und Erwartung.«
Dorothea sah Christine an. »Und? Hast du die Möglichkeit bei mir?«
Christine lächelte. »Na sicher, Dorothea. Du Schaf.« Sie zündete zwei Zigaretten an und reichte eine weiter. »Komm, Friedenspfeife. Und dann erzähle ich dir von
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