Unzertrennlich
abzuwarten, und biss sich auf die Unterlippe. Du heulst jetzt nicht, sagte sie sich, du trinkst einen Kaffee und gehst dann wieder ins Büro.
Sie bestellte sich einen Milchkaffee und zündete sich eine Zigarette an. Ihre Hand zitterte. Es war keine Katastrophe, es war auch nicht das erste Mal. Sie hatten eine Affäre, nicht mehr und nicht weniger. Wenn es klappte, war es gut, wenn nicht, war es auch nicht schlimm. Wenigstens hatte er sie vor dem Einkaufen erwischt, beim letzten Mal hatte sie zwei teure Doraden in den Mülleimer geschmissen. Idiot!
Christine wusste nicht, ob sie Richard oder sich selbst meinte. Vor zehn Minuten war es noch ein richtig guter Tag gewesen. Und sie ließ es zu, dass ein einziger Satz das veränderte. Und ein einziger Mann.
Sie dachte über das Gespräch nach, das sie mit Gabi geführt hatte. Über Dani und die Zeit im Haus. Wenn das alles noch so wäre, würde sie heute Abend nach Hause fahren, sich mit Dani an den Küchentisch setzen, ein bisschen heulen und ihr von Richards Anruf erzählen. Sie stellte sich Dani vor, die währenddessen aus dem Küchenfenster auf den Deich sah. Sobald Christine geendet hätte, würde sie sich eine Haarsträhne um den Finger wickeln, sie ansehen und sagen: »Was für ein Arsch. Hase, das hast du gar nicht nötig. Lenk dich ab, sitz nicht hier rum und bemitleide dich selbst. Ich glaube, es geht los. Wer bist du denn? Die Zeiten, in denen wir irgendwelchen Typen hinterherrennen, die uns nicht verdient haben, sind doch wohl vorbei. Los, mach was, verabrede dich.«
Christine drückte ihre Zigarette aus, nahm ihr Handy aus der Tasche und suchte die Nummer von Sven. Während sie auf das Freizeichen wartete, sah sie Dani zufrieden nicken.
November
Meine Redakteurin hat mich gebeten, eine Kolumne über den November zu schreiben. Der würde jetzt anfangen und sei der schlimmste Monat im Jahr.
Alle Menschen seien nun depressiv, es würde immer regnen und nebeln, die Zahl der Trennungen und Selbstmorde würde explosionsartig steigen, es gäbe kein Licht und keine Freude mehr. Als Kolumnenschreiberin könnte ich meinen Lesern Halt und Trost geben, weil sie nach der Lektüre wüssten, dass es selbst mir so gehe, ich aber trotzdem in der Lage sei, eine Kolumne darüber zu schreiben. Trotz des Elends, weil man da einfach durchmuss. Tapferes Mädchen, das ein Vorbild sein kann. Und muss.
Ich habe lange überlegt, was ich im November am scheußlichsten finde. Zuerst habe ich an das Wetter gedacht. Am allerschlimmsten finde ich Schnee. Der taucht ja schon mal im November auch im Norden auf, aber eigentlich nicht doll genug, um mich schlecht gelaunt zu machen. Ich hasse Kälte, die wiederum ist im Dezember, Januar und Februar meistens schlimmer. Sturm habe ich ganz gern, der erinnert mich an meine Sommerferien bei meiner Sylter Oma, und Regen gibt es immer.
Wettermäßig gibt es also eindeutig schlimmere Monate für mich.
Dann das Thema Selbstmord und Trennung. Meine Freundin Karola hat auf diese Frage geantwortet, sie glaube, dass Massenselbstmorde nur in Finnland verübt würden, es gäbe auch einen Roman dazu. Bei längerem Nachdenken fiel ihr aber ein, dass die Finnen das gesamte Jahr dazu neigen, deshalb spiele der Monat November keine große Rolle, statistisch wenigstens. Es sei auf keinen Fall der schlimmste Monat, das glaube sie nicht.
Getrennt hat sie sich in ihrem Leben bislang zweimal. Einmal im Februar, direkt nach einer Karnevalsfeier, bei der ihr damaliger Freund mit einer Kleopatra durchgebrannt war, und einmal im August, nach einem völlig entgleisten Urlaub auf Amrum, in dem es übrigens durchgängig geregnet und gestürmt hatte.
Das fand ich interessant, weil ich auch mal eine Trennung im Februar hatte, auch nach Karneval, allerdings war meine Kleopatra eine Steinzeitfrau. (Ich sollte vielleicht einmal ernsthaft über eine Karnevalskolumne nachdenken!)
Wir sind übereinstimmend zu dem Schluss gekommen, dass wir uns noch nie im November getrennt haben und wir auch niemanden kennen, der das getan hat. Meine Freundin Karola glaubt auch, dass alle noch die Weihnachtsgeschenke abwarten würden, auf die vier Wochen käme es dann ja auch nicht mehr an.
Dann kommen wir zum fehlenden Licht und zur fehlenden Freude. Beim Licht frage ich mich, ob meine Redakteurin jemals in ihrem Leben an einem Dezemberabend mit einem defekten Scheinwerfer durch den Landkreis Cuxhaven gefahren ist. Vermutlich nicht, denn dann hätte sie gewusst, dass es auf keinen
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