Unzertrennlich
Fall dunkler geht. Es gab ganz wenig Licht, noch weniger als im November.
Über die fehlende Freude habe ich auch nachgedacht. Meine Geschwister und ich haben alle in den ersten beiden Novemberwochen Geburtstag. Karnevalskinder oder Ofenheizung, je nachdem. Also wurde dauernd gefeiert. Meine Freude war vielleicht die kleinste, weil ich die Letzte war und deshalb alle Luftballons in dem extra freigeräumten Geburtstagszimmer bereits faltig und die Luftschlangen ganz kurz waren. Aber so richtig freudlos war es auch nicht.
Meine Freundin Karola, die nicht im November geboren ist, hat da wenigstens geheiratet, kann also auch feiern. Außerdem hat sie recherchiert, dass es in diesem Monat die meisten Bälle gebe, und sie geht so gern mit ihrem Mann Paul tanzen.
Ich habe mir wirklich den Kopf zerbrochen und mich sehr angestrengt, wenigstens ein bisschen depressiv zu werden. Ich habe viele Leute angerufen. Alle fanden den November deprimierend, sie hatten aber wenig Zeit, es genau zu beschreiben. Leonie musste mit ihrer Freundin in die Sauna, Luise wollte zu einem Geburtstag, Maren bekam an dem Tag ihr neues Auto und Franziska hat eine tolle neue Wohnung und steckte mitten im Umzug.
Meine Freundin Karola hat meine Anstrengungen, das Thema November in den Griff zu kriegen, mitleidig beobachtet. Sie sagte, dass ich mir zu viel Arbeit mache, der November habe nur deshalb diesen schlechten Ruf, weil er der einzige Monat sei, in dem man Zeit für Depressionen hätte. Im Oktober sei das Wetter zu schön, im Dezember wolle man Geschenke und Lichterglanz, im Januar habe man zu viele gute Vorsätze und im Februar sei Karneval und der Winter dann fast vorbei. Wann also, wenn nicht im November?
Mir ist diese Erklärung viel zu billig, so leicht kann und will ich es mir nicht machen. Ich habe seit fünf Nächten nicht mehr richtig geschlafen, weil ich traurig bin, dass ich meine Redakteurin so tief enttäuschen werde.
Ich sehe den Regen an meiner Fensterscheibe runterlaufen, drehe meine Heizung niedriger und lege traurige Musik auf. Ich denke darüber nach, dass ich jetzt nicht mal mehr mit einem solch einfachen Kolumnenthema fertig werde, dass ich in meinem ganzen Leben vermutlich nichts richtig gut gemacht habe, dass meine Redakteurin mich ratlos ansehen und sagen wird: »Ich habe mehr von dir erwartet.«
Während mir langsam eine Träne über die Wange läuft, klingelt mein Telefon. Ich habe nicht die Kraft, an den Apparat zu gehen, außerdem ist es in meiner Wohnung stockdunkel, weil ich es nicht geschafft habe, das Licht einzuschalten.
Auf dem Anrufbeantworter höre ich die Stimme meiner Freundin Karola. Sie sagt, dass Paul und sie insgesamt 32Leute zum Thema November-Depression befragt hätten. Ich solle mich jetzt festhalten, keiner von denen hätte so was jemals gehabt. Sie glauben, dass kein Schwein diese Kolumne lesen werde, ich bräuchte mir also überhaupt keinen Kopf zu machen und ich solle sofort losfahren, es gebe bei ihnen Grünkohl und 15 der Befragten wären auch gekommen. Und alle seien supergut gelaunt. Und das im November.
Ich schalte das Deckenlicht an, um meinen grauen Pullover gegen einen roten auszutauschen.
Liebe Redaktion, es tut mir sehr leid, dass ich diese Kolumne so verhauen habe.
Der November ist einfach nicht mein Monat.
Lübeck
Frauke ließ sich stöhnend auf einen Stuhl fallen und streckte ihre Beine aus. Sie sah Gudrun gespielt verzweifelt an.
»Du hast mich geschafft. Ich wusste ja nicht, was du mit Powershopping meinst. Wäre mir das klar gewesen, hätte ich bei Quelle bestellt.«
Gudrun stellte ihre drei Tüten neben den Tisch und zog ihre Jacke aus. »Stell dich nicht so an. Das waren gerade mal drei Stunden.«
»Aber zwanzig Geschäfte.« Frauke drehte sich um. »Und meine Zunge pappt, ich brauche ganz schnell einen Kaffee. Oder sollen wir zur Feier des Tages einen Sekt trinken?«
Gudrun lachte. »Jetzt willst du es wissen, oder? Ich denke, du kannst tagsüber keinen Alkohol ab. Nicht, dass du anschließend ins Bett musst. Es ist erst vier.«
Frauke winkte lässig ab. »Ich kann doch nicht so ein Kleid kaufen und anschließend Kaffee mit Dosenmilch trinken. Jetzt will ich mich noch ein bisschen länger so vornehm fühlen. Aber ich trinke nicht allein. Also?«
Gudrun nickte. Sie beobachtete Frauke, die bei der Bedienung zwei Pikkolos bestellte, sich dann bückte und ihre Tüten ordnete, nicht ohne noch kurz in jede hineinzusehen.
Gudrun hatte die Freundin zu einem schlichten
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