Unzertrennlich
noch Ruth im Restaurant waren. Der Kellner hatte irgendetwas von 18Uhr gefaselt, Marie wusste ja, dass um 17Uhr das Treffen in der Hotelbar anberaumt war. Sie fragte sich, ob die beiden wenigstens jetzt im Restaurant wären. Sie selbst wäre so lange geblieben, bis alles in ihrem Sinne fertig war. Aber bitte, sie hatte Ruth ihre Hilfe angeboten, doch die hatte sie abgelehnt.
Marie nahm ihren Kulturbeutel aus dem Koffer und ging damit ins Bad, um die einzelnen Tuben und Dosen in einer bestimmten Reihenfolge auf die Ablage zu stellen. Sie rückte alles so lange hin und her, bis sie zufrieden war. So war es wie immer. Wie es sein musste. Anschließend wusch sie sich die Hände und cremte sie ein. Als sie ihre Ringe wieder an die Finger steckte, fiel ihr ein, dass Mischa sie noch gar nicht angerufen hatte. Sie sah auf die Uhr, es war halb drei. Er wollte morgens zum Wochenmarkt und anschließend noch in die Autowerkstatt. Wieso dauerte das so lange? Marie ging mit schnellen Schritten durch das Zimmer und griff nach dem Handy, das auf der Fensterbank lag. Sie tippte die Kurzwahl für Mischas Nummer und hörte kurz darauf die Stimme ihres Mannes.
»Ach, Annemarie, ich wollte dich gerade anrufen, ich bin eben zur Tür reingekommen.«
»Was hast du denn die ganze Zeit gemacht? Ich habe schon zweimal zu Hause angerufen und dein Handy war aus.«
Die Lüge ging ihr flott von den Lippen. Mischa hatte sein Handy immer aus, weil er Angst vor den Strahlungen hatte, und zu Hause hörte er das Telefon selten, es stand in Maries Büro. Seine Stimme klang sofort zerknirscht. »Es tut mir leid. Ich habe noch mit Frau Hoffmann Kaffee getrunken, wir haben uns auf dem Markt getroffen.«
Marie hatte Frau Hoffmann einmal gesehen, sie war eine gefärbte Rothaarige und Kollegin von Mischa. Wenn man bei einer Berufsschullehrerin überhaupt von Kollegin reden konnte. Marie merkte, dass sie zornig wurde.
»Wieso gehst du Kaffee trinken? Ich denke, du wolltest das Auto in die Werkstatt bringen! Also, ich fahre da nicht mehr so mit.«
Mischas Stimme klang beruhigend. »Ich habe das Auto vorher weggebracht. Es ist Montagnachmittag fertig. Bist du denn gut angekommen? Hast du die anderen schon getroffen?«
Marie verdrehte die Augen. »Natürlich bin ich gut angekommen, ich bin ja nicht zum ersten Mal in Hamburg. Und wenn du mir zugehört hättest, wüsstest du, dass wir uns erst um 17Uhr treffen. Ich weiß gar nicht, warum ich dir überhaupt etwas erzähle.«
»Marie, bitte, lass uns nicht streiten. Ich wünsche dir viel Spaß heute Abend, amüsiere dich.«
»Ich streite überhaupt nicht. Was machst du jetzt?«
»Ich muss noch Klausuren korrigieren und vielleicht gehe ich nachher noch mit Stefan ein Bier trinken.«
»Dann trink nicht so viel. Denk daran, dass wir morgen Abend ins Theater gehen, nicht dass du dann müde bist. Also, bis dann.«
Sie legte auf, ohne die Antwort abzuwarten. Marie sah aus dem Fenster, das den Blick auf den Hafen freigab. Sie hatte keine Ahnung, wie ihr Mann ohne sie zurechtkommen würde. Manchmal hatte sie ihre Ehe satt, das kam davon, dass man nach dreißig Jahren immer noch mit der Tanzschulliebe verheiratet war. Dabei hatte Mischa damals so gute Anlagen. Allerdings hätte er ohne sie nach seiner Ausbildung niemals das Studium zum Berufsschullehrer begonnen. Als ob Annemarie Erdmann mit einem Kfz-Mechaniker zusammenleben könnte. Das hatte er aber auch begriffen. Obwohl Mischa als Berufsschullehrer auch nicht der typische Akademiker war. Aber sie war ja kompromissbereit.
Marie erinnerte sich jetzt an die Tanzstunden. Christine war damals in Mischa verknallt gewesen, das hatten alle gemerkt. Die würde Augen machen, wenn sie nachher hörte, dass Marie und Mischa vor zwei Jahren ganz groß ihre Silberhochzeit gefeiert hatten. Und das auch noch in ›Schröders Hotel‹, im selben Saal, in dem der Abschlussball stattgefunden hatte. Es war ein tolles Fest gewesen, mit rund 100Gästen. Mischa hatte natürlich über den Aufwand gemault, aber es war ihr egal. Wenn Marie Erdmann was machte, dann machte sie es richtig. Und sie hatte es mal wieder allen gezeigt.
Marie kontrollierte, ob sie auch alle Fotos dabeihatte. Christine wollte sie sicher sehen. Langsam blätterte sie die Bilder durch. Ihr renoviertes Elternhaus, die Ferienwohnung auf Föhr, sie selbst beim Tennis, ihre Schule, einige Fotos von der letzten Klassenfahrt mit einer strahlenden Marie im Mittelpunkt und dem gutaussehenden Mathematikkollegen
Weitere Kostenlose Bücher