Unzertrennlich
Schwiegermutter vor der Haustür stand. Kathleen formte ihre Hände zum Trichter und brüllte:
»Viel Spaß und bringt mir was mit.«
Jürgen hupte zweimal und fuhr langsam die Auffahrt runter. Als Lena sich umdrehte, waren beide bereits im Haus verschwunden. Sie sah ihren Mann an. »Trennungsschmerz kann man Kathleen auch nicht gerade unterstellen.«
Jürgen lachte. »Kathleen kann jetzt Fernsehen gucken, bis sie ohnmächtig wird, sie wird Pommes bis zum Abwinken kriegen, Oma legt ihr die Karten und erzählt ihr was von ihrer goldenen Zukunft und anschließend wird sie stundenlang mit irgendwelchen Freundinnen telefonieren, ohne dass du dazwischengehst. Das ist doch herrlich, was soll sie bitte mit Trennungsschmerz?«
Er suchte im Radio nach einem Sender. »Wer hat das hier eigentlich so verstellt? Ich habe immer NDR 2 drin, kann man das Radio nicht mal so lassen, wie es ist?«
»Ich war mit deiner Mutter einkaufen. Sie wollte flotte Musik und nicht diesen ausländischen Schweinkram. Wir haben die ganze Zeit Hansi Hinterseer, Udo Jürgens und Nana Mouskouri gehört. War schön.«
»Oha.« Jürgen lachte. »Bei mir traut sie sich das nicht. Ich habe ihr gesagt, dass mir bei solcher Musik schwindelig wird, das ist gefährlich beim Autofahren.«
Er drehte an der Lautstärkenregelung. Herbert Grönemeyer sang ›Flugzeuge im Bauch‹. Jürgen pfiff leise mit.
»Na, Lena, das war doch auch in der Zeit, oder?«
Lena nickte. »Dani hat den Text beim Tapetenabkratzen mitgesungen. Dabei ist das ein ganz trauriges Lied. Das hat sie aber gar nicht gestört. Ganz im Gegenteil, sie kam damit immer richtig in Fahrt.«
»Und? Hast du jetzt Flugzeuge im Bauch? Meinst du, dass es überhaupt richtig ist, dass ich mitkomme?«
Lena legte die Hand auf Jürgens Knie. »Das waren gleich zwei Fragen. Erstens: Nein, ich habe keine Flugzeuge im Bauch. Ich habe ja mit Marleen und Ines telefoniert, jetzt bin ich einfach gespannt auf Christine. Und ich freue mich, Dani und Ines wiederzusehen. Und eigentlich freue ich mich auch auf Christine. Aber ganz entspannt.
Und zweitens finde ich es richtig, dass du mitkommst. Du hast sie immer gemocht. Wenn es damals nach dir gegangen wäre, wären wir wahrscheinlich heute noch mit Christine befreundet. Ich habe nachgedacht, vielleicht war ich wirklich zu stur und zu sauer, dass sie mich damals so angepflaumt hat. Zum Ende einer Freundschaft gehören schließlich immer zwei.«
Jürgen drückte ihre Hand. »Tja, du warst ja ganz schön in Rage damals. Vielleicht wart ihr früher auch empfindlicher. Frauen nehmen Kritik von Freundinnen sowieso viel unsachlicher an als Männer. Das ist dann gleich immer das Ende der Welt.«
»Findet das die Frau in dir?«, fragte Lena spöttisch.
»Du, ich habe eine Mutter, vier Tanten, drei Schwestern, eine Ehefrau und eine Tochter. Erzähl mir nicht, dass ich kein Frauenversteher bin. Ihr habt mich dazu gezwungen.«
Lena lachte. »Stimmt. Aber du machst das sehr gut, meine Süße. Na ja, ich bin neugierig, wie das alles wird. Auf jeden Fall wird es ein spannender Abend, wir haben ein schönes Hotel und sind mal wieder allein unterwegs. Dafür hat es sich doch allemal gelohnt, oder?«
Jürgen nickte. »Sicher. Und ich werde aufmerksam beobachten, ob sich zwei Frauen, die mal ganz dick befreundet waren, nicht in Sekundenschnelle für diesen Mädchenkram schämen, den sie vor Jahren in ihrer jugendlichen Ignoranz veranstaltet haben. Ihr wart wirklich bescheuert.«
Hoffentlich, dachte Lena, hoffentlich ist das so einfach.
Hamburg
Marie hängte ihr neues Kleid vorsichtig auf einen Bügel in den Hotelschrank. Sie wollte nicht knitterig in diesem schicken Restaurant erscheinen, in dem sie bereits am Mittag gewesen war, um es zu inspizieren. Es war wirklich sehr vornehm, trendy, wie ihre Nichte sagen würde. Der Kellner war gleich auf sie zugekommen.
Marie hatte ihm erzählt, dass sie abends zu dem Überraschungsfest gehörte, worauf er so freundlich war, ihr den vorbereiteten Raum zu zeigen. Sie hatte ihn auf die fehlenden Kerzen hingewiesen und ihm noch Vorschläge für die Tischdekoration gemacht. Er schien dankbar zu sein.
Marie wunderte sich manchmal, wie wenig die Leute mitdachten. Sie war jetzt seit fast zwanzig Jahren Lehrerin. In ihrem Beruf musste man Verantwortung tragen, zudem hatte sie Erfahrung im Organisieren und vor allen Dingen Motivieren. Es machte sie nervös, wenn Dinge luschig gehandhabt wurden. Marie hatte sich gewundert, dass weder Ines
Weitere Kostenlose Bücher