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Morgenstunden in San Francisco als einen Schritt nach vorn. Statt um vier Uhr früh aufzustehen, um New York City zu erwischen, konnte er ausschlafen und mit den Leuten die Nacht hindurch chatten. Die »sanftere Tour« der Europäer im harten Geschäftsleben, ihre Rücksicht auf Schlafpausen, gesetzliche Feiertage und lange Ur-laubszeiten, kam dem Leben eines Doppelagenten auf ideale Weise entgegen.
Allerdings hatte Art nicht damit gerechnet, dass die Stammesangehörigen seine Arbeit so in-tensiv verwerten würden. Wie besessen gingen sie seine tägliche Lieferung von Tabellenkalkulationen, Wandtafel-Abschriften, Memos und Gesprächsprotokollen auf irgendeines von zehntau-send heißen Schlüsselwörtern durch. Außerdem verlangten sie häufig präzisere Informationen über die in der Regel trivialen, sinnlosen und schon halb vergessenen Besprechungen mit den V/DT-Spezialisten, die Erfahrungen der Benutzer auswerteten. Arts Komset summte und piepte zu jeder Tages- und Nachtzeit und sein Teilhonorar hing von sofortiger Reaktion ab. Sie machten ihn kirre.
Vier Stunden auf der Polizeiwache verschafften Art reichlich Gelegenheit, die mittlerweile einge-gangenen pingeligen Anfragen zu beantworten.
Seit dem Unfall war er träge und mit den Gedan-70
ken woanders gewesen und hatte angefangen, sich seine Antworten einfach auszudenken, da ihm der ganze Kram ohnehin völlig banal vorkam.
Auch Fede hatte ihm unzählige nervende
Nachrichten geschickt, um ihn daran zu erinnern, dass er einen neuen Schlüssel schaffen und beim Rückruf den Fingerabdruck benutzen sollte. Meine Güte. Fede hatte den Großteil seines Erwachse-nenlebens für McKinsey gearbeitet und furchtbare Schiss davor, dass man ihn entlarven und mit Schimpf und Schande davonjagen würde. Aufgrund seiner Erfahrungen mit anderen McKinsey-Leuten im Büro hielt Art die Annahme, dass einer dieser überbezahlten Phrasendrescher ihren Da-tenverkehr überwachte, für ähnlich wahrscheinlich, wie von einem Blitz getroffen zu werden.
Voller Selbstmitleid seufzte er theatralisch und machte sich an die mühselige Arbeit, genügend Zufallsdaten zu erzeugen, um den Schlüssel zu generieren. Er malträtierte die Tastatur, flüsterte sinnlose Silben vor sich hin und richtete das Ka-meraobjektiv auf irgendwelche Winkel der Polizeiwache. Nach zehn Minuten Krypto-Tourette verkündete das Komset, der Grad von Beliebigkeit reiche jetzt aus, und forderte ihn zur Eingabe einer Passphrase auf. Lieber Himmel. Was für ein elender Scheiß. Er versuchte sich an den Text der Er-kennungsmelodie einer CBC-Sitcom zu erinnern, die er als Kind gern gesehen hatte. Gleich darauf 71
lief sein Komset heiß, während es alle gespeicher-ten Daten mühsam mit dem neuen Schlüssel re-chiffrierte. Unterdessen konnte Art sich einloggen.
Trepan: Hallo an alle!
Colonelonic: He, Trepan. Wie läuft’s
denn so?
Trepan: Beschissen. Ich sitze in London
auf einer Polizeiwache fest und kann in der Nase popeln. Ich bin überfallen worden.
Colonelonic: Du lieber Himmel! Bist du
verletzt?
Ballgravy: Scheiße!
Trepan: Nein, mir geht’s gut – ich lang-
weile mich nur. Die haben mich nicht verletzt. Ich hab 999 in mein Komset eingegeben, während sie ihr Spielchen mit mir
trieben. Hab’s ihnen vorgeführt, als sie mich ausrauben wollten. Also sind sie
abgehauen.
##Colonelonic lacht
Ballgravy: Briten = Arschlöcher. Lon-
ding.
Colonelonic: Ist ja wirklich süß!
Trepan: Danke. Wenn die Bullen nur end-
lich mit dem Papierkram fertig wären …
Colonelonic: Was machst du eigentlich in London?
Ballgravy: Arsch Arsch Arsch
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Colonelonic: Halt’s Maul, Bgravy!
Ballgravy: Du kannst mich mal.
Trepan: Was ist los mit dir, Ballgravy?
Hier unterhalten sich zwei Erwachsene.
Ballgravy: Ich kann Briten nicht aus-
stehen.
Trepan: Wie, keinen davon?
Ballgravy: Was weiß ich. Jedenfalls
waren alle, die ich kennengelernt hab,
verklemmte Wichser.
##Colonelonic (vertraulich): Er ist bloß ein Troll, ignorier ihn.
Trepan /vertraulich an Colonelonic: Pass mal auf.
Trepan: Wie viele?
Ballgravy: Wie viele was?
Trepan: Wie viele hast du kennen-
gelernt?
Ballgravy: Genug.
Trepan: > 100?
Ballgravy: Nein.
Trepan: > 50?
Ballgravy: Nein.
Trepan: > 10?
Ballgravy: Etwa 10.
Trepan: Woher bist du?
Ballgravy: Queens.
Trepan: Also, du wirst es nicht glauben, aber du bist die zehnte Person aus Queens, 73
die ich kennenlerne – und ihr seid allesamt Schwachköpfe, die sich mit Fremden in
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