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Toronto.
Dass Linda dabei war, machte alles noch schö-
ner. Wir nahmen uns Leihwagen, fuhren von Stadt 133
zu Stadt, ließen die Autos vor den Stadtgrenzen stehen, um in erstklassige öffentliche ÖSZ-Ver-kehrsmittel umzusteigen, aßen erstklassige ÖSZ-Pizza und verdrehten die Köpfe, um den tadel-los gekleideten, eleganten Paaren hinterher zu schauen, die Arm in Arm über die fußgänger-freundlichen Straßen schlenderten. In Brooklyn setzten wir uns zu alten Damen auf die kleinen Veranden vor ihren Häusern und unterhielten uns im Zwielicht smoggetönter Sonnenuntergänge leise mit ihnen, während ihre Enkelkinder einander über die Straßen jagten. In Boston machten wir bei einem spontanen Straßenhockeyspiel mit, brüllten »ein Auto!« und räumten jedes Mal das Tor weg, wenn ein Furzmobil in die Sackgasse ein-bog.
Wir spielten wie Kinder. Während der normalen Arbeitszeit wurde ich angerufen, doch abends blieb ich von Summ-, Pieps- und Warntönen gnädig verschont. Deshalb war ich ja auch so ver-dattert, als ich von Fedes Verrat und Lindas Kom-plizenschaft erfuhr und plötzlich in der Touristen-klasse nach London fliegen musste, um Fede einen Arschtritt zu versetzen. Was für ein Idiot ich doch bin.
Noch nie bin ich aus einem Streit mit Fede als Sieger hervorgegangen. Natürlich bildete ich es mir manchmal ein, aber ich hätte es besser wissen müssen. Ich war kaum einen Tag zurück in 134
Boston, als mich die Jungs in den weißen Kitteln abholten.
Gelassen und zu allem entschlossen tauchten sie oben im Novotel auf und öffneten das elektro-nische Schloss meines Zimmers mit jener Not-
überbrückung, die den Abgesandten von Klapsmühlen bei akuten Krisen Vorrang einräumt. Es waren vier drahtige, fixe Kerle, mit denen nicht zu spaßen war. Sicher hatten sie schon ihre Erfahrungen mit äußerlich ruhigen Psychopathen gemacht, die unerwartet durchgedreht waren. Dass ich auf dem Balkon gerade ganz unschuldig eine Zigarette rauchte – was ich nur selten tat – und von der Dusche noch klitschnass war, beeindruck-te sie nicht sonderlich. Sie klappten ihre Visiere herunter, stürmten auf den Balkon und umzingel-ten mich.
So als hätte er es mit einem Straftäter zu tun, belehrte mich einer von ihnen über meine Rechte und schloss mit den Worten »verstehen Sie«, was nicht unbedingt als Frage gemeint war, aber ich antwortete trotzdem. »Nein! Nein, ich verstehe das keineswegs! Wer, zum Teufel, sind Sie und was treiben Sie in meinem Hotelzimmer, verdammt noch mal?«
Doch im Inneren verstand ich sehr wohl. Ich hatte in meinem Leben schon so oft mit Halluzinationen als Folge von Schlafmangel herumkämpfen müssen, dass ich mir einen solchen Moment 135
während unzähliger Wahnsinnstrips ausgemalt hatte. Man wollte mich in eine Nervenheilanstalt einliefern, weil irgendwer irgendwo von den Hamstern und ihren Laufrädern in meinem Hirn erfahren hatte. Wurde auch Zeit.
Kaum hatte ich das Götz-Zitat ausgesprochen, zogen sie die Waffen. Ich versuchte, locker zu bleiben. Denn instinktiv wusste ich, dass sich aus dieser Situation entweder eine routinemäßig und sachlich durchgezogene Geschichte oder ein Rie-sentheater mit Geschrei, Tritten und Bissen entwickeln würde. Wenn ich in gelassenem Gemütszustand in der Aufnahme erschien, würden sie mir eher eine Beruhigungspille als eine chemische Zwangsjacke verpassen, so viel war mir klar.
Es waren nichttödliche Waffen verschiedener Bauart: zwei Sprühpistolen, ein Dart Gun , dessen Pfeile betäubende oder kurzfristig lähmende Substanzen enthielten, und ein Elektroschocker. Der Elektroschocker, der im Frühlingslüftchen zucken-de, horizontale Entladungsblitze erzeugte, erregte meine Aufmerksamkeit. Tesla-Spritzen nennt man die Schocker in London. Angeblich benutzen Club-Kids sie in ihrer Freizeit zum Vergnügen, aber jeder von meinen Bekannten, der schon einmal mit einem solchen Ding in Berührung gekommen ist, hat das Erlebnis als durch und durch entsetzlich oder absolut widerlich beschrieben.
Langsam hob ich die Hände. »Ich möchte Sie 136
bitten, sich auszuweisen. Außerdem würde ich gern eine Tasche packen. Darf ich?« Ich bemühte mich, so beherrscht wie möglich zu wirken, aber das darf ich klang doch etwas wackelig.
Der Typ, der mir meine Rechte vorgelesen hatte, nickte bedächtig. »Sagen Sie uns, was Sie einpacken wollen, dann packen wir es für Sie ein.
Wenn das erledigt ist, zeige ich Ihnen unsere Ein-weisungsbefugnis,
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