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…«
»Wie viele angebliche Paranoiker haben Sie bisher entlassen, weil deren Aussagen der Wahrheit entsprachen?«
»Da müsste ich meine Fallgeschichten durch-gehen …«
»Waren es mehr als zehn?«
»Nein, das glaube ich nicht …«
»Mehr als fünf?«
»Art, ich glaube nicht, dass …«
»Ist es überhaupt schon mal passiert, dass die Verdachtsmomente eines Paranoikers bestätigt wurden und er daraufhin entlassen wurde? Ist diese Beobachtungsphase nicht lediglich eine For-malität, die bei der Zwangseinweisung eingehalten werden muss? Kommen Sie schon, Doktor, ich will einfach nur wissen, wie meine Lage aussieht.«
»Wir stehen doch auf Ihrer Seite, Art. Wenn Sie es sich selbst leichter machen wollen, sollten Sie das einsehen. Die Krankenschwester bringt Ihnen in ein paar Minuten Ihr Mittagessen und Ihre Medikamente, danach dürfen Sie sich auf der Station frei bewegen. Dort können wir uns dann gern weiter unterhalten.«
»Doktor, es ist doch nur eine einfache Frage: Ist jemals jemand mit dem Verdacht auf paranoide Einbildungen in diese Anstalt eingeliefert und später wieder entlassen worden, weil er, wie sich 144
herausstellte, tatsächlich Opfer eines Komplotts war?«
»Art, es wäre nicht richtig, wenn ich mit Ihnen über die Fallgeschichten anderer Patienten disku-tiere …«
»Sie veröffentlichen doch sicher Fallstudien, nicht? Und bestimmt enthalten diese Fallstudien auch vertrauliche Informationen über Patienten, die allerdings durch Pseudonyme geschützt sind.«
»Darum geht es hier nicht …«
»Um was geht es dann? Mir kommt’s so vor, als würde ich hier am besten fahren, wenn ich Ihnen eingestehe, dass Fede und Linda keineswegs gegen mich intrigiert haben. Selbst wenn ich immer noch annehme, dass es der Wahrheit entspricht, selbst wenn es wahr ist. Stattdessen sollte ich wohl am besten einräumen, dass sie enge Freunde sind, die sich Sorgen um mich gemacht haben. Anders ausgedrückt: Wenn sie wirklich gegen mich intri-gieren, muss ich an der falschen Annahme festhalten, dass dies nicht der Fall ist, nur um zu beweisen, dass ich keine Wahnvorstellungen habe.«
»Ich habe Catch-22 auch gelesen, Art. Darum geht es hier zwar nicht, aber Ihre allgemeine Einstellung wird Ihnen hier drinnen sicher nicht helfen.« Der Arzt gab kurz etwas in sein Komset ein und tippte sich durch einige Menüs. Ich beugte mich vor und schaute auf das Display.
»Das sieht wie ein Rezept aus, Doktor.«
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»Richtig. Ich verschreibe Ihnen ein mildes Beru-higungsmittel. Wir können Ihnen nicht helfen, solange Ihnen die innere Ruhe fehlt und Sie nicht bereit sind zuzuhören.«
»Ich bin doch völlig ruhig. Ich bin einfach nur anderer Meinung als Sie. Ich bin ein Mensch, der durch Diskussionen dazulernt. Das können Sie mir auch mit Medikamenten nicht austreiben.«
»Wir werden sehen.« Ehe ich etwas erwidern konnte, verließ der Arzt mein Zimmer.
Schließlich bekam ich die Erlaubnis, auf die Station zu gehen, bekleidet mit dem, was die Krankenschwestern Tageskleidung nennen – die Zivilklamotten, die ich im Hotel eingepackt hatte.
Ein Krankenpfleger holte sie aus einem verschlossenen Schrank in meinem Zimmer. Die versammelten Verrückten schauten gerade Fernsehen für Bekloppte, starrten zum Fenster hinaus oder schaukelten hin und her, wobei sie herumzappel-ten und vor sich hin grummelten. Ich setzte mich neben eine eigentlich ganz hübsche Frau, deren langes, fettiges Haar in der Mitte so straff geschei-telt war, dass sich auf ihrem Schädel eine von Schuppen gesäumte Furche gebildet hatte. Sie war jung, vielleicht fünfundzwanzig, und schien mir von der ganzen Bande noch am klarsten im Kopf zu sein.
»Hallo«, begrüßte ich sie.
Sie lächelte schüchtern, dann kippte sie nach 146
vorn und kotzte geräuschvoll und ausgiebig auf den Boden, wobei sie die Knie abspreizte. Ich fuhr zurück und versuchte mir meinen Ekel nicht anmerken zu lassen. Gleich darauf eilte eine Krankenschwester herbei und hielt einen Plastikeimer unter den Strom von Kotze, der ihr immer noch aus dem Mund schoss, während ihr flacher Brustkorb von Beben erschüttert wurde.
»Hier, Sarah, hier hinein«, sagte die Schwester leicht verärgert.
»Kann ich irgendwie helfen?«, fragte ich blöder-weise.
Sie sah mich scharf an. »Art, stimmt’s? Warum sind Sie nicht in der Gruppentherapie? Es ist schon nach eins!«
»Gruppentherapie?«
»Die Gruppe sitzt dort drüben, in der Ecke.« Sie deutete auf mehrere ausgesessene Sofas, die
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