Upload
einen Block gefunden hatte, addierte sie einige Zahlen und gab sie danach ins Point-of-Sale-Terminal ein, das die Rechnung für das Mittagessen an Arts Komset schickte. Diese merk-würdige Angewohnheit, alles erst handschriftlich zu notieren, bevor man es ins PoS-Terminal eingab, hatte Art rasend gemacht, als er es zum ersten Mal beobachtet hatte. Offenbar war die Be-nutzerschnittstelle des Terminals so beschaffen, dass eine Kellnerin ohne Computerkenntnisse Daten nicht zuverlässig eingeben konnte, ohne die Zahlen handschriftlich vor der Nase zu haben.
Monatelang hatte er diese Sache in überflüssigen Online-Konferenzen als weiteren Beleg für die überall präsente Benutzerfeindlichkeit angeführt, die die ganze verdammte MGZ-Zone kennzeich-nete.
Schließlich hatte er sehen wollen, wie der Mann hinter der Theke auf seine Kritik am PoS-System reagierte. Er hatte sich auf eine kleine antibritische Hetztirade eingestellt, den offenen Erfahrungsaustausch zwischen zwei Ausländern, zwei Flüchtlingen vor der englischen Kolonialknu-te. Doch zu seiner Tage und Wochen anhaltenden Verblüffung hatte der Mann das System energisch verteidigt und gesagt, er halte die Eingabe von 123
PoS-Daten auf diese Weise für völlig in Ordnung.
Der Stapel abgerissener Zettel vom Quittungs-block der Kellnerin sei sogar eine gute Orientie-rungshilfe. Denn so könne er den Tagesumsatz sofort schwarz auf weiß sehen, er werfe jede Stunde einen Blick auf die aufgespießten Zettel neben der Kasse. In seinen Augen waren die mit Gummibändern zusammengehaltenen vergilbten Zettelstöße auf seinen Kellerregalen ein schöner, handgreif-licher Beweis für den wachsenden Erfolg seines kleinen Lokals. Art wusste, dass in dieser Geschichte eine Lektion steckte, er hatte sie bloß noch nicht begriffen. Benutzermythen waren oft schwer zu durchschauen.
Jedes Mal, wenn Art einen Trinkgeldbetrag in sein Komset eingab und an das PoS zurückschick-te, dachte er über dieses kleine Rätsel nach. Auch heute starrte er dabei kurze Zeit ins Leere und wandte den Blick nach innen.
Als er seine Umgebung wieder zur Kenntnis nahm, bemerkte er einen jungen Kerl, der an der langen Seite des L saß, das die Theke bildete. Er hatte rattenkurze Haare, breite Schultern und ein spöttisches Lächeln auf den Lippen, das nicht mal ganz verschwand, als er sich mit dem biologisch abbaubaren Mittelding aus Bambus-Gabel und
-Löffel das Linsencurry in den Mund schaufelte.
Art kannte den Kerl von irgendwoher. Er merkte, dass er angestarrt wurde, und ihre Blicke trafen 124
sich kurz. Und in diesem Moment fiel Art ein, wer er war: Tom. Bei ihrer letzten Begegnung hatte Tom einen Elektroschocker mit der zitternden Faust umklammert und mit wutverzerrtem Gesicht auf ihn gezielt. Diesmal trug Tom nicht seine Sportkiller-Montur, sondern unauffällige Sport-kleidung, außerdem hatte er weder Lester noch Tony dabei, sondern war ganz allein. Aber er war es, kein Irrtum möglich. Art bemerkte, dass Tom den Kopf schräg legte, als könnte er auf diese Weise seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Und dann erkannte Tom ihn. Oha.
»Wir müssen gehen. Sofort«, sagte er zu Fede, stand auf und verließ eilig das Lokal, eine Hand an seinem Komset. Er war kurz davor, die 999 zu wählen, ließ es dann aber – er war nicht darauf aus, noch einmal eine ganze Nacht auf einer Polizeiwache zu verbringen. Er hatte schon den halben Weg zum Piccadilly zurückgelegt, ehe er einen Blick über die Schulter warf und sah, dass Fede sich mit mürrischem Gesicht durch das Mittagsgedränge rempelte. Ein paar Schritte hinter ihm folgte Tom, das Gesicht zu einer sadistischen, zäh-nefletschenden Maske verzogen.
Art zauderte einen Moment lang, ging einen Schritt auf Fede zu, wich einen zurück und sah Tom nochmals in die Augen. Der Anblick von Toms wild gebleckten Zähnen trieb ihn vorwärts.
Er drehte sich abrupt um, verschwand im U-Bahn-125
hof, richtete sein Komset auf ein Drehkreuz und tauchte in der dichten Menge unter, die sich die Treppe zum Bahnsteig der Linie Elephant and Castle hinunterwälzte. Sein Komset meldete sich.
»Was ist denn eigentlich los mit dir, Mann?«, fragte Fede.
»Einer der Typen, die mich überfallen haben, hat uns direkt gegenüber gesessen«, zischte Art.
»Er ist ein paar Schritte hinter dir. Ich bin jetzt im U-Bahnhof. Ich fahre bis zur nächsten Station und nehme dann ein Taxi zurück ins Büro.«
»Er ist hinter mir? Wo?«
Auf dem Display von Arts Komset
Weitere Kostenlose Bücher