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Titel: Upload Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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sie sich die Mühe gemacht, mich im Irrenhaus zu besuchen.
    Sie stießen just in dem Moment zu mir, als ich nach der Gruppensitzung mit verschränkten Armen und übereinander geschlagenen Beinen auf einem Sofa saß und im Sonnenlicht döste. Auf der Station war es mein Lieblingsplatz, wenn ich ein Nickerchen machen wollte. Mittlerweile hatte ich festgestellt, dass ein Schläfchen zwischen Gruppensitzung und Abendessen meinen Appetit anregte und meine Geschmacksnerven betäubte, 268
    was den schauderhaften Fraß erträglicher machte.
    Audie schüttelte mich leicht an der Schulter. Im ersten Augenblick nahm ich an, eine mit Betäu-bungsmitteln zugedröhnte Mitpatientin wolle mich mal wieder zu einer Partie Dame nach überaus eigenartigen Regeln überreden, deshalb stieß ich ihre Hand weg.
    »Wahrscheinlich haben sie ihn voll unter Drogen gesetzt«, sagte Audie. Die Stimme klang vertraut, aber ich konnte sie nicht einordnen, deshalb hob ich ein Augenlid, um die ins Sonnenlicht getauchte Silhouette zu mustern. »Jetzt wird er wach. Na los, du müder Tiger, du hast Besuch.«
    Ich setzte mich mit einem Ruck auf und rieb mir die Augen. »Audie?«
    »Genau. Und Alphie.« Alphies rosiges Gesicht schwebte in mein Blickfeld.
    »Hallo, Art«, murmelte er.
    »Na so was.« Während ich mich aufrappelte, streckte Audie die Hand aus, um mich zu stützen, was gar nicht nötig war. »Das ist ja ein Ding.«
    »Überrascht?«, fragte Audie.
    »Klar doch.« Audie drückte mir einen Blumen-strauß in die Arme. »Was macht ihr denn hier?«
    »Ach, deine Großmutter hat mir erzählt, dass du hier bist. Ich hab sowieso in Boston zu tun, al-so bin ich einfach einen Tag früher geflogen, weil 269
    ich mal nach dir sehen wollte. Und Alphie ist mit-gekommen – er ist jetzt mein Assistent.«
    Fast wäre mir eine Bemerkung darüber heraus-gerutscht, wie passend es ist, wenn Vorbestrafte für Vertragspartner der Regierung arbeiten, aber ich biss mir noch rechtzeitig auf die Zunge. Und so trat plötzlich ein peinliches Schweigen ein.
    »Tja«, sagte Audie schließlich. »Tja! Lass dich doch mal anschauen.« Sie erdreistete sich tatsächlich, einmal um mich herumzuspazieren, um mich von Kopf bis Fuß zu inspizieren. Nicht genug damit, gab sie dabei auch noch leise Geräusche von sich. »Siehst gar nicht so schlecht aus, Art.
    Vielleicht ein bisschen abgemagert. Alphie hat dir eine Schachtel Kekse mitgebracht.« Alphie trat vor und hielt mir die Schachtel hin, eine Familien-packung President’s Choice Ridiculous Chocoholic Extra Chewies , eine kanadische Kekssorte, die ich als Kind ständig in mich hineingestopft habe.
    Kaum hatte ich sie gesehen, lief mir das Wasser im Mund zusammen.
    »Ist wirklich schön, euch zu sehen, Audie und Alphie«, brachte ich über die Lippen, ohne dabei zu sabbern – angesichts der Speichelmenge, die sich in meinem Mund gesammelt hatte, eine ein-drucksvolle Leistung. »Danke für das Care-Paket.«
    Wir starrten einander verlegen an.
    »Also, Art«, brach Alphie das Schweigen, »wie gefällt’s dir hier denn so?«

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    »Na ja, eigentlich nicht besonders. Meiner Meinung nach bin ich geistig voll da und nicht verrückter als eh und je. Es liegt einfach an einer Verkettung unglückseliger Zufälle und daraus fol-genden Fehleinschätzungen der Situation, dass ich hier drinnen gelandet bin.« Ich verkniff mir, auf Alphies Hang zu Fehleinschätzungen hinzu-weisen.
    »Das ist ja ein Ding«, erwiderte Alphie. »Ein echter Hammer. Wir sollten was dagegen unternehmen, meinst du nicht, Audie?«
    »Das fällt nicht ganz in mein Fachgebiet«, bemerkte Audie ziemlich schroff. »Aber du weißt, dass ich dir helfen würde, wenn ich könnte, stimmt’s, Art? Schließlich sind wir alle eine Familie.«
    »Na klar«, erklärte ich großmütig. Aber als ich sie in diesem Moment ansah, meinen Cousin und meine Cousine, die tausend Mal öfter als ich in Schwierigkeiten geraten sind – ihr Sündenregister reicht von Trunkenheit am Steuer über Software-Piraterie bis zum Anbau verbotener Pflänzchen im Hinterhof –, fiel mir ein, dass sie trotz allem recht unbeschadet davongekommen waren. Und dabei regte sich in mir eine Spur verzweifelter Hoffnung.
    »Nur …«
    »Nur was ?«, fragte Alphie.
    »Nur … Audie, könntest du dich vielleicht, natürlich nur, wenn du die Zeit dafür hast, ein biss-271
    chen umhorchen und herausfinden, ob einer deiner Geschäftsfreunde einen anständigen Anwalt kennt? Einen Anwalt, der dafür sorgen könnte,

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