Urangst
Sprenkel verunziert.
Nickie stand neben Amy und war auf der Hut. Sie hatte die Ohren leicht angehoben und den Blick fest auf die offene
Tür zum Flur gerichtet, aus dem das gedämpfte Donnern von Pfoten erklang.
Ein plötzliches Nachlassen des Tempos, mit dem sie sich näherten, ließ darauf schließen, dass Fred und Ethel die Anwesenheit eines Neuankömmlings wahrgenommen hatten. Ethel lief als Erste langsamer, und Fred rannte in sie hinein, als die beiden durch die Tür kamen.
Anstelle der üblichen Begrüßung, zu der Nase an Nase und Zunge an Nase und ein höfliches und rasches gegenseitiges Beschnuppern der Hinterteile gehörte, blieben die Redwing-Kids einen guten Meter von Nickie entfernt abrupt stehen. Sie standen japsend da, die Ruten peitschend erhoben, die Köpfe neugierig zur Seite geneigt und in den Augen ein Leuchten, das Erstaunen zu sein schien.
Nickies Rute blieb weiterhin in Bewegung, als sie den Kopf hob und eine freundliche, aber majestätische Pose einnahm.
»Ethel, meine Süße, Fred, du Zuckerschnecke«, sagte Amy mit ihrer einschmeichelndsten Stimme, »kommt her und begrüßt eure neue Schwester.«
Bis sie die Worte »eure neue Schwester« aussprach, war ihr nicht klar gewesen, dass sie längst beschlossen hatte, Nickie zu behalten und sie nicht bei einer der registrierten Familien auf der Adoptionsliste von Golden Heart unterzubringen.
Bisher war Verlass darauf gewesen, dass beide Kids der einschmeichelnden Piepsstimme ihrer Herrin nicht widerstehen konnten, aber diesmal schenkten sie Amy keinerlei Beachtung.
Jetzt tat Ethel etwas, das sie jedes Mal tat, wenn ein fremder Hund zu Besuch kam, aber nie vor Abschluss der Begrüßungszeremonie. Sie ging zu der offenen Kiste voller
Quietsch- und Zerrspielzeug und Tennisbälle in der Abstellkammer, deren Tür immer offen stand, suchte wohlüberlegt eine Belohnung aus, kehrte mit ihr zurück und ließ sie vor dem Neuankömmling fallen.
Sie hatte eine plüschige gelbe Ente gewählt.
Die Botschaft, die Ethel einem Besucher durch die Leihgabe eines Spielzeugs im Allgemeinen übermittelte, war folgende: Hier ist eins, das für die Dauer deines Besuchs ausschließlich dir zugedacht ist, aber der Rest gehört mir und Fred, es sei denn, wir beziehen dich in ein Gruppenspiel ein.
Nickie musterte einen Moment lang die Ente und dann Ethel.
Dann wurde die Etikette komplett auf den Kopf gestellt: Ethel begab sich ein zweites Mal zu der Kiste in der Abstellkammer und kehrte mit einem plüschigen Spielzeuggorilla zurück, den sie neben die Ente fallen ließ.
In der Zwischenzeit hatte Fred die Küche durchquert, um den Frühstückstisch zwischen sich und die beiden Weibchen zu bringen. Er lag auf dem Bauch und beobachtete sie durch das Chromgitter der Stuhlbeine, während seine Rute über den Eichenboden fegte.
Wenn man ein Hundeliebhaber ist, ein wahrer Hundeliebhaber und nicht nur einer, der sie als kleine Lieblinge oder Haustiere ansieht, sondern jemand, der sie als echte Gefährten und sogar mehr als Gefährten betrachtet – sie auf der Leiter der Arten vielleicht ein oder zwei Sprossen unter der Menschheit ansiedelt, als eine Spezies, die zwar nicht die Sonderstellung des Menschen mit ihm teilt, von dem sie allerdings auch kein Abgrund trennt –, begegnet man ihnen anders, als andere Menschen ihnen begegnen würden, nämlich mit Respekt vor ihrer angeborenen Würde, mit der Erkenntnis ihrer Fähigkeit, Freude zu empfinden
und unter Melancholie zu leiden, mit der Gewissheit, dass sie die Tyrannei der Zeit erahnen, selbst wenn sie die Grausamkeit dieser Tyrannei nicht voll und ganz verstehen, und dass sie nicht, wie verblendete Experten behaupten, im Hinblick auf ihre eigene Sterblichkeit ahnungslos sind.
Wenn man sie mit dieser geschärften Wahrnehmung und aus dieser großzügigeren Perspektive beobachtet, wie Amy es schon seit langer Zeit getan hatte, dann erkennt man in der Persönlichkeit jedes Hundes eine bemerkenswerte Vielschichtigkeit und eine Individualität, die in ihrer Ausprägung geradezu unheimlich menschlich ist, jedoch frei von den schlimmsten menschlichen Defekten. Man sieht Intelligenz und eine grundlegende Fähigkeit zur Vernunft, die einem manchmal den Atem verschlagen kann.
Und selbst wenn man frei von jeglicher Sentimentalität ist, wenn man eine zu skeptische Geisteshaltung hat, um Hunden menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, wird man gelegentlich diese einzigartige Sehnsucht an ihnen wahrnehmen. Denn Hunde sehen
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