Urangst

Tierhandlungen wie Petco und PetSmart hatten Adoptionsprogramme für herrenlose Hunde, verkauften aber keine Welpen.
    Andere Geschäfte, Internethändler und Leute, die Annoncen in der Zeitung aufgaben und behaupteten, ihre Welpen
stammten von kleinen privaten Züchtern und seien auf Bauernhöfen von liebevollen Familien aufgezogen worden, verkauften im Allgemeinen Hunde, die von brutal misshandelten Zuchttieren abstammten.
    Ein Zertifikat des American Kennel Club besagte lediglich, dass der Hund reinrassig war, aber nicht, dass er unter humanen Bedingungen gezüchtet worden war. Jedes Jahr kamen die Produkte von Welpenfabriken, von Hunden gezeugt und geworfen, die ihr Leben unter elenden Bedingungen verbrachten, zu Hunderttausenden mit »ordnungsgemäßen Papieren« auf den Markt.
    Amy hielt Vorträge in Schulen, in Seniorentreffs und vor jedem Publikum, das gewillt war, ihr zuzuhören: Geben Sie einem geretteten Hund ein Heim. Oder kaufen Sie Ihren Hund bei einem angesehenen Züchter, der vom Verband der jeweiligen Rasse empfohlen wird, wie zum Beispiel dem Golden Retriever Club of America. Gehen Sie ins Tierheim. Jedes Jahr sterben vier Millionen Hunde in Tierheimen, weil sie kein Zuhause finden. Vier Millionen. Schenken Sie einem obdachlosen Hund Ihre Liebe, und er wird sich zehnfach dafür erkenntlich zeigen. Wenn Sie den Bossen der Welpenfabriken Geld in den Rachen werfen, tragen Sie zum Fortbestand grauenhafter Verhältnisse bei.
    Ihr Publikum lauschte immer aufmerksam. Die Leute applaudierten. Vielleicht erreichte sie ja tatsächlich den einen oder anderen.
    Sie bildete sich nie ein, dass sie die Welt verändern würde. Die Welt ließ sich nicht ändern. Die Gleichgültigkeit so vieler Menschen gegenüber dem Leiden von Hunden war für sie ein Beweis dafür, wie tief die Menschheit gesunken war und dass es eines Tages zur Abrechnung kommen würde – kommen musste. Sie konnte nichts weiter tun als versuchen,
jedes Jahr ein paar Hundert Hunde vor Elend und vorzeitigem Tod zu bewahren.
    Als sie und Renata die Leckerbissen verteilt hatten, schreckten drei der Zuchttiere wieder zurück, nachdem sie sich ein paar Minuten lang hatten kraulen lassen. Zwei blieben etwas länger, bevor sie sich zurückzogen, doch eine Hündin, Cinnamon, ließ sich neben Renata nieder, als wollte sie sagen: Okay, ich riskiere es mal, dem Frieden zu trauen.
    Renata sagte: »Cinnamon wird eine unserer Seelenretterinnen werden.«
    Amy war der Überzeugung, dass Hunde einen spirituellen Zweck erfüllten. Die Gelegenheit, einen Hund zu lieben und ihn gütig zu behandeln, gab einer verlorenen oder selbstsüchtigen menschlichen Seele die Chance, Erlösung zu finden. Hunde sind machtlos und unschuldig, und wie wir die Geringsten unter uns behandeln, ist mit Sicherheit maßgeblich für das Los unserer Seelen.
    Cinnamon drehte sich um und sah Amy an. Sie hatte die Augen einer Erlöserin.
    Die geometrische Form des Richtens ist ein Kreis. Der Hass ist eine Schlange, die sich zusammenrollt, um sich, am hinteren Ende beginnend, selbst zu verzehren, ein Kreis, der zu einem Punkt zusammenschrumpft und sich dann in nichts auflöst. Der Stolz ist eine solche Schlange, der Neid und die Habsucht ebenso. Die Liebe dagegen ist ein Reifen, ein Rad, das ewig weiterrollt. Wir werden von denen errettet, die wir gerettet haben. Die Erlösten werden zu den Erlösern ihrer Erlöser.
    Als Amy mit ihren drei Kids aufbrach und sie Die Letzte Chance verließen, bog sie langsam auf die Landstraße ein und ließ sich lange genug Zeit, um das Nummernschild des Land Rovers zu lesen.

    Als sie nach Westen fuhr, schüttelte das andere Fahrzeug den Schatten der Jacarandas ab und folgte ihr. Vielleicht glaubte der Fahrer, sie sei zu naiv, um zu bemerken, dass sie beschattet wurde. Vielleicht war es ihm aber auch ganz egal, ob sie wusste, dass sie verfolgt wurde.

21
    Das Rascheln, Zischen und Rumpeln erhob sich hinter Brian, leiser als beim ersten Mal, nahezu verstohlen. Er drehte sich auf seinem Stuhl um, aber er war weiterhin allein in der Küche.
    Als das Geräusch sich wiederholte, blickte er zur Decke hinauf und fragte sich, ob der Wind vielleicht etwas auf dem Dach in Bewegung versetzte. Aber ein Blick durchs Fenster zeigte einen stillen Morgen, so still wie in einer luftlosen Welt.
    Er arbeitete wie besessen am Mittelpunkt der gegenwärtigen Zeichnung des Auges der Hündin, als eine Bleistiftspitze abbrach. Dann eine zweite. Eine dritte.
    Während er die Bleistifte