Urangst
Heerscharen der Hölle heulten vor der Tür und unterzogen die Riegel, die sie festhielten, einer schweren Prüfung.
Angelas Wehen, vielleicht durch das Grauen beschleunigt, führten den Moment der Geburt schneller herbei, als Cora erwartet hatte. Der Rüssel war weitergezogen, aber der Sturm tobte noch über ihren Köpfen, als Angela, die Ängste um ihr ungeborenes Kind ausstand und weinend um ihren Mann trauerte, Brian gebar.
Cora zog eine Sturmlampe von einem Regal, zündete sie an und entband im gespenstischen Schein des Gaslichts mit einer Ruhe und einer Geschicklichkeit, die im Lauf der Generationen, seit sich ihre Familie in der Prärie angesiedelt hatte, nicht verlorengegangen war, ihre Tochter von ihrem Enkelsohn.
»In dem Traum, habe ich meine eigene Geburt beobachtet«, sagte Brian. »Ich war ein verhutzeltes, rotgesichtiges, missmutiges kleines Bündel.«
»Es gibt eben doch Dinge, an denen sich nie etwas ändert«, bemerkte Amy.
Da nicht alle Tornados mit dieser Plötzlichkeit hereinbrechen und da die eine oder andere Sturmwache Stunden dauern kann, war der Keller mit zwei alten Matratzen auf Pritschen eingerichtet. Angela gebar ihr Baby auf einer dieser Matratzen und der Bezug war von Fruchtwasser, Blut und der Nachgeburt durchnässt.
Cora packte Decken aus, die in Plastikhüllen auf einem der Regale lagen, bezog die saubere Matratze mit einem frischen
Laken und ermunterte ihre Tochter, sich mit dem Neugeborenen darauf zu legen.
Wie sich herausstellte, hatte der Sturm schwere Trümmer vor der Tür des Sturmkellers aufgetürmt, und sie sollten neun Stunden warten müssen, bevor sie von Rettern ausfindig gemacht und herausgeholt wurden.
»Daher hat meine Großmutter«, sagte Brian, »die Matratze mit dem Wenigen, das ihr zur Verfügung stand, frisch bezogen, aber sie hat so viel Sorgfalt darauf verwandt, als sei es ein Gästebett, das für einen wichtigen Besucher vorbereitet wird. Als sie meine Mutter und mich – ich meine mich, das Baby – gut zugedeckt hatte, war es ein behagliches kleines Nest, ganz sauber und ordentlich und urgemütlich. Sie hat die Falten aus der Decke gestrichen, sie mit solcher Zärtlichkeit glattgestrichen und dabei auf meine Mutter herabgelächelt …«
Die Szene stand so klar vor seinen Augen wie keine andere Szene aus einem Traum, den er jemals zuvor gehabt hatte.
Amy sagte: » Und dann?«
»Ach so. Ja. Plötzlich bin ich in dem Traum kein Beobachter mehr, ich bin ein Teil von ihm, ich bin das Baby, das zu seiner Großmutter aufblickt. Sie lächelt auf mich herab und ihre Augen sind erstaunlich, voller Liebe und so viel lebhafter als alles andere in dem lebhaftesten Traum, den ich je hatte. Und sie zwinkert mir zu. Das Letzte, was ich gesehen habe, war Grandmas Zwinkern. Dann bin ich aufgewacht. Und das ist das Unglaubliche. Das Bett ist so, wie du es jetzt siehst. Frisch gemacht. Ich liege auf den Decken und das Bett ist ordentlich genug gemacht, um bei einer militärischen Inspektion durchzugehen. «
Er erwartete Erstaunen. Doch sie starrte ihn nur an.
»Weißt du, als du mich letzte Nacht aus dem Bett geholt hast, damit ich mitkomme, um einen Hund vor einem wahnsinnigen, gewalttätigen Betrunkenen zu retten, habe ich das Bett vollkommen zerwühlt zurückgelassen. Und als ich mich heute Nachmittag hingehauen habe, weil ich dringend Schlaf brauchte, war es immer noch genauso unordentlich.«
»Und?«
»Die Tagesdecke hing über das Fußende, die Laken waren ein einziges Knäuel, ein Kopfkissen lag auf dem Boden. Aber ich wache auf und das Bett ist unter mir gemacht worden, als sei meine Großmutter in dem Traum schnurstracks umgekehrt, nachdem sie meine Mutter und mein Baby-Ich ins Bett gepackt hat, und hätte auch dieses Bett hier ordentlich gemacht.«
»Dein Baby-Ich?«
»Jetzt komm schon, Amy. Du weißt genau, was ich meine.«
»Neigst du zum Schlafwandeln?«
»Nein, das habe ich noch nie getan. Warum?«
»Vielleicht hast du selbst im Schlaf das Bett gemacht.«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Das könnte ich gar nicht. Das ist ganz ausgeschlossen.«
»Ja, klar. Es ist wesentlich einleuchtender, dass deine tote Großmutter aus einem Traum herausgekommen ist und es für dich gemacht hat.«
Während sie sich Aug’ in Auge gegenüberstanden, kaute er einen Moment auf seiner Unterlippe herum, bevor er sagte: »Warum bist du so?«
»Ich bin nicht so. Ich erweise mich lediglich als praktisch veranlagt, vernünftig, klug, sachlich, gescheit, nüchtern und
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