Urban Gothic (German Edition)
Gedanken wandten sich Javier zu. Sie hoffte, dass es ihm gut ging. Statt ihr zu folgen, war er zurückgeblieben, um Kerri zu helfen. Trotz ihrer Angst verspürte Heather einen Anflug von Eifersucht. Warum hatte er das getan? Javier war ihr Freund, nicht der von Kerri. Kerris Freund war tot. Sie brauchte nicht auch noch dafür zu sorgen, dass Heathers Freund getötet wurde.
Sie schaukelte zurück und etwas Weiches streifte ihren Kopf. Heather unterdrückte einen Aufschrei und schlug danach. Ihre Hand fühlte sich klebrig an. Ein Spinnennetz.
Sie fragte sich, was sich sonst noch bei ihr in der Dunkelheit befinden mochte.
Draußen auf dem Flur hörte sie das Knarren eines Fußbodenbretts. Heather erstarrte und hielt den Atem an.
Das Geräusch wiederholte sich nicht.
Sie bohrte die Fingernägel so krampfhaft in die Handflächen, dass Blut floss, doch sie nahm es kaum wahr. Heather stellte sich vor, dass der Mörder vor der Tür im Gang stand, den Fuß über dem knarrenden Bodenbrett, während er darauf wartete, dass sie herauskam. Heather rührte sich nicht und rechnete jeden Moment damit, sein entsetzliches Rufen zu hören oder zu sehen, wie die Tür mit dem Hammer eingeschlagen wurde.
Stattdessen fing jemand an zu lachen – ein hohes, hysterisches Geräusch, das an ein Weinen grenzte.
Kerri?
Jedenfalls klang es nach ihr.
Das Gelächter ertönte erneut, gefolgt von einer rauen männlichen Stimme, die Heather trotz des Flüstertons als vertraut empfand.
Kerri und Javier! Sie mussten es sein. Heather war überzeugt davon.
Sie sprang auf, stolperte zur Tür und riss sie auf. Der Gang lag zwar im Dunkeln, aber etwas heller als das Zimmer, in dem sie sich versteckt hatte, schien es trotzdem zu sein. Zuerst konnte Heather nichts sehen. Bevor sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, begrüßte sie lautes Schreien.
Brett hielt den Atem an, schlich über die durchhängenden Bodenbretter und versuchte, sich so leise wie möglich vorwärts zu bewegen. Er hatte aufgehört, zu zählen, durch wie viele Räume er Hals über Kopf geflüchtet war, ohne anzuhalten oder seine Umgebung zu untersuchen – nur darauf bedacht, seinen Verfolger abzuschütteln. Ihm drängte sich der Eindruck auf, dass das verwahrloste Haus nicht den Grundriss eines gewöhnlichen Wohngebäudes aufwies. Es gab zu viele Türen – von denen manche nirgendwohin führten, wie er sehr zu seinem Verdruss schon bald feststellte.
Einige Gänge vollzogen abrupte Kehrtwenden, manche Zimmer erfüllten keinen logischen Zweck. Ein Badezimmer mit einem Zweiersofa an einer bröckeligen Wand. Ein Schlafraum mit auf dem Boden verstreuten Porzellanscherben einer Kloschüssel. Am bizarrsten fand er das Fehlen jeglicher Fenster. Von außen hatte Brett etliche mit Brettern vernagelte Fenster sowohl im Erdgeschoss als auch im ersten Stockwerk bemerkt. Aber hier im Inneren des aufgegebenen Hauses fehlten sie komplett. Jemand musste Wände davor hochgezogen haben. Außerdem fiel ihm auf, dass in einigen der Räume und Gänge nachträglich eine notdürftige Beleuchtung installiert worden war – nackte Glühbirnen, verbunden mit ausgefransten Stromkabeln.
So verwirrend die Anordnung der Räume auch wirkte, er hoffte, dass sein wilder Lauf durch das labyrinthartige Gebäude auch den Mörder verwirrte.
Brett steckte den Kopf durch die offene Tür vor ihm und stieß auf eine Küche. Nach einem prüfenden Blick huschte er hinein und schloss die Tür hinter sich. Die Angeln ächzten. Rost rieselte auf seine Finger. Die Tür besaß kein Schloss und der Knauf rasselte in seiner Hand. Brett tastete nach dem Lichtschalter. Er klebte. Angewidert zog er die Finger zurück und ärgerte sich darüber, vergessen zu haben, dass es im Haus sowieso keinen Strom gab. Schon in den anderen Räumen hatte er die Lichtschalter ausprobiert – ohne Erfolg. Er kramte sein Handy hervor, klappte es auf und benutzte das Display als Taschenlampen-Ersatz. Wenigstens dafür taugte das Gerät – seit dem Betreten des Hauses hatte es keinen Empfang mehr.
Prüfend ließ er den Blick durch die schattigen Winkel wandern und hielt Ausschau nach etwas, womit er die Tür verbarrikadieren konnte. Stattdessen erspähte er zwei weitere Türen. Eine sah aus, als könne sich dahinter eine Speisekammer befinden. Die andere führte vermutlich aus der Küche, es sei denn, es handelte sich erneut um eine Attrappe, hinter der eine Ziegelsteinmauer wartete. Die Arbeitsflächen in der Küche erwiesen
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