Urban Gothic (German Edition)
mürrischer alter Furz aufgeführt. Aber unabhängig davon verdiente Mr. Watkins diesen Mist nicht. Der Mann versuchte nur, ihnen zu helfen. Immerhin hatten sie an seine Tür geklopft. Ohne ihre Störung läge er mittlerweile längst im Bett.
»Yo, ich hab gesagt, du sollst ein wenig Respekt zeigen. Was zur Hölle ist los mit dir?«
»Leckt mich doch alle beide.«
»Leute!« Jamal wandte sich an Leo und Markus. »Beruhigt euch, alle beide.«
Markus wollte davon nichts wissen. »Was willst du jetzt tun, Leo, hä? Willst du was davon?« Er streckte die Faust hoch.
»Du willst kämpfen? Tja, dann komm mal her.«
Dookie, Jamal und Chris wichen zurück.
»Komm schon«, forderte Leo seinen Freund heraus.
»Glaub bloß nicht, ich tu’s nicht. Ich hab echt den Kanal voll von deinem Bullshit.«
»Wovon zum Henker redest du, Markus?«
»Du bist nicht mein Boss. Du bist nicht unser Anführer. Du bist gar nichts. Redest großspurig darüber, was zu verändern, das Richtige zu tun, anderen zu helfen – wann hat denn je jemand uns geholfen? Für uns ändert sich nie was. Du träumst doch bloß, Leo. Du bist ein beschissener Vollidiot.«
Kurzzeitig fühlte sich Leo von Markus’ unerwarteten Beleidigungen wie verprügelt. Er hatte Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. Aber er durfte im Augenblick weder Schwäche noch Zweifel zeigen, sonst kamen auch den anderen Bedenken.
»Wenn’s dir nicht passt, Markus, dann hau einfach ab. Wir brauchen dich Lahmarsch nicht.«
»Ich geh nirgendwohin. Die Straße gehört dir nicht. Ich bleibe, wo ich will.«
Leo öffnete und schloss die Fäuste. »Wie du willst. Aber wenn du bleibst, dann hörst du verdammt noch mal auf, Mist zu labern, und entschuldigst dich bei Mr. Watkins.«
»Drauf geschissen. Was hat der Alte denn je für mich getan, außer mich komisch anzuglotzen, wenn ich zu spät noch draußen unterwegs war? Erinnerst du dich an Halloween vor ein paar Jahren, als irgendjemand alle Autoscheiben in der Straße eingeschlagen und die Häuser mit Eiern beworfen hat? Weißt du noch, wie er uns danach angesehen hat?«
Mr. Watkins rührte sich, wollte etwas sagen, doch Leo kam ihm zuvor.
»Hat er dich etwa beschuldigt, Markus? Hä? Hat er irgendeinen von uns beschuldigt?«
Markus grinste. »Das musste er gar nicht. Man konnt’s ihm am Gesicht ansehen.«
»Weißt du was? Verpiss dich einfach. Geh nach Hause.«
»Du kannst mich zu gar nichts zwingen, Leo. Und wenn du mir weiter so auf den Sack gehst, prügle ich die Scheiße aus dir raus.«
»Ich hör dich zwar reden, aber ich seh nicht, dass du dich bewegst.«
»Fick dich, Motherfucker.«
»Nein«, gab Leo zurück und pikte seinen Freund mit dem Zeigefinger in die Brust. »Fick du dich, Pisser.«
»Genug!« Mr. Watkins steckte die Pistole unter den Hosenbund, trat zwischen die beiden Teenager und legte jedem eine Hand auf die Brust. »Das reicht. Hört auf mit dem Blödsinn. Was ist bloß in euch gefahren? Glaubt ihr etwa, das sei in irgendeiner Weise hilfreich?«
Leo spannte den Körper an. »Er hat damit angefangen. Ich hab mich nur für Sie eingesetzt.«
»Hier draußen brauchst du mir nicht den Rücken zu stärken«, sagte Mr. Watkins und nickte in Richtung des Hauses. »Das solltest du lieber da drin tun. Wir müssen gegenseitig aufeinander aufpassen.« Er verstummte kurz, dann wandte er sich an Markus. Seine Hand ruhte nach wie vor auf der Brust des Jungen. »Ich weiß, warum du dich so aufführst.«
»Ach ja? Und warum?«
»Weil du Angst hast.«
»Fick dich, Alter. Ich hab vor gar nichts Angst.«
»Doch, hast du«, beharrte Mr. Watkins und schenkte Markus’ geballten Fäusten keinerlei Beachtung. »Du hast sogar eine Scheißangst.«
Das musste ihm Leo lassen: Mr. Watkins hatte echt Eier in der Hose. Der Gesichtsausdruck von Jamal, Chris und Dookie verriet ihm, dass er sie ebenfalls beeindruckte. Markus’ Blick zuckte zu der Pistole unter Mr. Watkins’ Hosenbund. Leo hielt den Atem an und wappnete sich, vorzuspringen, sollte Markus nach der Waffe greifen.
»Denk nicht mal dran«, warnte Mr. Watkins. Dann nahm seine Stimme wieder einen beschwichtigenden Tonfall an. »Ich weiß, dass du Angst hast, weilʼs mir genauso geht. Wir haben alle Angst. Scheiße, wir wären doch echt verrückt, uns nicht davor zu fürchten, dieses Haus zu betreten. Aber das, was du da treibst, hilft uns auch nicht weiter. Alles klar?«
Markus schwieg zunächst und sah jeden seiner Freunde an. Dann blickte er auf seine Füße
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