Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
sie morgens auf der hinteren Veranda faul in der Sonne gelegen hatte. Es war ein Geruch, den ich in der Vergangenheitimmer als leicht unangenehm empfunden hatte – besonders dann, wenn sie versuchte, sich derartig riechend auf meinem Bett breitzumachen. Doch nun verspürte ich bis in die Zehenspitzen ein Gefühl der Erinnerung an vertraute Dinge.
»Du riechst nach Rosmarin und Zitrone«, sagte Talbot. Er stand jetzt so dicht zu mir gebeugt, dass ich seine Worte wie warmes Sonnenlicht auf meinem Gesicht spüren konnte. Er zupfte an einer meiner dunklen Locken.
Ich trat einen Schritt zurück. Ich hatte ihn zu nahe an mich herankommen lassen. »Das ist bloß mein Shampoo.«
»Nun, es riecht gut und ist leicht aufzuspüren, falls ich kehrtmachen muss, um dich zu finden. Hast du meinen Geruch?«
Ich nickte.
»Okay, das ist bloß zur Sicherheit, für den Fall, dass du dich verläufst. Ich möchte, dass du dich jetzt auf den Geruch der Gelals und Akhs konzentrierst. Ihre Fährte ist schon älter und lässt nach. Mach dir also keine Vorwürfe, wenn du sie verlierst. Meine Fährte ist frisch und neu. Konzentrier dich auf sie, wenn wir getrennt werden.« Er lächelte. Seine Grübchen traten wieder hervor. »Und versuch zumindest, mit mir Schritt zu halten. Es wäre nicht so spaßig, wenn ich allein auf sie träfe.«
»Oha, warte mal, wir verfolgen die Einbrecher? Jetzt?«
»Wolltest du das nicht?«
»Ja, aber ich dachte, wir gehen es langsam an. Ich dachte, wir gehen erst mal die Grundlagen durch.« So hätte es Danielgemacht.
Mach langsam. Halte deine Balance.
»Also, ich meine, du hast mir ja noch gar nichts beigebracht.«
»Das hier sind die Grundlagen, Grace. Wir sind Dämonenjäger. Zum Entspannen haben wir keine Zeit.« Talbot krempelte die Ärmel seines blaurotkarierten Hemds hoch.
»Und, äh, was machen wir, falls wir diese Dämonen finden?«
»Uns wird schon was einfallen, wenn wir sie finden.«
»Wenn?«
Talbot lachte. »Das wird ein Heidenspaß.« Dann rannte er die Straße hinunter.
Bevor ich auch nur realisiert hatte, dass er weg war, hatte er schon den Block hinter sich gebracht und bog gerade um die Ecke. Ich rannte ihm nach, da ich ihn mit Sicherheit sofort verloren hätte, wenn ich nicht gleich losgelaufen wäre. Als ich um die Ecke gelaufen kam, stand er mit den Händen in den Hosentaschen an einen Baum gelehnt da. Und als ich ungefähr einen Meter entfernt war, lachte er und stürzte wieder davon. Während er weiter abwechselnd stehen blieb und weiterrannte, folgte ich ihm durch die verwaisten Straßen des Viertels – ein richtiges Katz- und Mausspiel. Talbot schien sich bestens zu amüsieren, was mir auf die Nerven fiel. Er rannte auf diese parcoursmäßige Art, so wie Daniel es immer getan hatte, als er noch im Besitz seiner Kräfte gewesen war, und nahm den kürzesten Weg durch die Hindernisse hindurch oder über sie hinweg, anstatt um sie herum zu laufen. Ich sah, wie er ein paar Betontreppen an einem angrenzenden Gebäudes hinaufsauste, dann, oben angekommen, unter dem Geländerhindurchtauchte, nach einer Vorwärtsrolle in der Luft auf dem Boden landete und sofort wieder aufsprang.
»Los, weiter, Kiddo!«, rief er.
Ich atmete tief ein und folgte seinem Beispiel, war schockiert und gleichermaßen glücklich, als ich denselben Sprung wagte. Talbot jubelte mir zu. Eine Frau, die vorbeikam und ihren Hund ausführte, ließ ihre Leine fallen und starrte uns ungläubig an.
Talbot sprang weiter, rannte jetzt sogar noch schneller als zuvor. Ich lief ihm nach, versuchte meine Kräfte zu mobilisieren, und ließ mich von der gleißenden, pochenden Hitze davontragen. Ich war knapp zwanzig Meter hinter ihm, als er nach links ausbrach, über eine zwei Meter hohe Mauer sprang und verschwand.
Ich brauchte all meine Konzentration, um dem geänderten Lauf zu folgen. Ich schlug die andere Richtung ein und rannte in rasendem Tempo auf die Mauer zu – viel zu schnell. Doch gerade, als ich kurz davor war, mit dem Gesicht voraus dagegen zu knallen, lösten sich meine Füße vom Boden, und ich schwang mich hoch in die Luft. Meine Finger berührten knapp die Mauerkrone, während ich in einer halben Sekunde darübersprang.
Fast lautlos setzten meine Füße wieder auf. Als ich zu einer Straßeneinmündung kam, reduzierte ich mein Tempo zu einem lockeren Lauf. Die Straße wurde in beide Richtungen breiter und eine mit Kies bedeckte Seitenstraße führte in eine von heruntergekommenen Häusern gesäumte
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