Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
spöttische Art. »Das ist eins der Dinge, die ich immer an dir gemocht habe, Grace. Du hast diesen absoluten Anspruch, dass alles im Leben fair sein sollte.«
»Stimmt überhaupt nicht. Ich finde es nur so … ungerecht«, sagte ich, schaudernd vor Kälte.
Daniel lachte und kratzte sich am Ohr. »Erinnerst du dich daran, wie wir damals zu MacArthurs Farm gelaufen sind, um uns die Welpen anzusehen? Einer hatte nur drei Beine, und Rick MacArthur sagte, sie würden ihn beseitigen, weil ihn bestimmt niemand haben wolle. Und du hast gesagt: ›Das ist ja so was von unfair!‹ und hast den Welpen mit nach Hause genommen, ohne überhaupt vorher deine Eltern zu fragen.«
»Daisy«, erwiderte ich. »Ich habe diese Hündin geliebt.«
»Ich weiß. Und sie hat dich so sehr geliebt, dass sie sich jedes Mal das Herz aus dem Leib gekläfft hat, wenn du aus dem Haus gegangen bist.«
»Ja. Und einer der Nachbarn rief so oft den Sheriff an, dass mir meine Eltern sagten, ich müsse sie abgeben, wenn es noch mal passiere. Ich wusste, dass sie sonst niemand haben wollte, also hab ich sie, immer wenn wir unterwegs waren, in mein Zimmer gesperrt.« Ich zog meine Nase hoch. »Und dann ist sie eines Tages ausgebüxst … und irgendwer hat sie getötet. Richtiggehend die Kehle aufgerissen.« Mein eigener Hals schmerzte angesichts der Erinnerung. »Einen Monat lang hatte ich jede Nacht Albträume.«
»Es war mein Vater«, sagte Daniel ganz ruhig.
»Was?«
»Derjenige, der immer die Polizei rief.« Daniel wischte sich die Nase an seiner Schulter ab. »Er verfiel manchmal mitten am Tag in eine seiner düsteren Stimmungen und …« Er langte wieder unter die Motorhaube und rückte irgendwas zurecht. »Jetzt starte den Wagen.«
Ich drehte mich um und setzte mich hinters Steuer. Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Der Motor ruckelte ein paar Mal und gab dann ein asthmatisches Keuchen von sich. Ich versuche es noch mal, und er sprang an. Ich klatschte in die Hände und dankte dem lieben Gott.
Daniel klappte die Motorhaube zu. »Du solltest von hier verschwinden.« Er rieb sich mit den Händen über dieArme; schwarze, ölige Flecken blieben auf seiner Haut zurück. »Schönes Leben noch.« Er trat kurz gegen einen der Reifen und ging dann weg.
Als er fast schon aus dem Licht der Straßenbeleuchtung verschwunden war, sprang ich aus dem Auto. »War das alles?«, rief ich. »Haust du jetzt einfach wieder ab?«
»Ist es nicht das, was du wolltest?«
»Nein, ich meine, kommst du nicht wieder zur Schule?« Er hatte mir den Rücken zugewandt und zuckte mit den Schultern. »Wozu? Ohne die Kunstklasse …« Er lief weiter in die Dunkelheit hinein.
»Daniel!« Meine Frustration brannte in mir wie ein Hochleistungsofen, auf einmal war mir warm. Ich hätte ihm für die Reparatur danken sollen, und dafür, dass er im richtigen Moment aufgetaucht war. Ich hätte mich zumindest von ihm verabschieden sollen, aber ich brachte die richtigen Worte einfach nicht heraus.
Er drehte sich um und sah mich an; fast war sein Körper schon in den Schatten verschwunden.
»Kann ich dich irgendwohin mitnehmen? Ich könnte dich am Obdachlosenheim absetzen. Da bekämst du vielleicht ein paar Klamotten und was zu essen.«
»Ich bin nicht der Typ für so was«, erwiderte Daniel. »Außerdem wohne ich da drüben mit ein paar Leuten zusammen.« Er deutete mit dem Daumen auf das besetzte Haus gegenüber.
»Oh.« Ich blickte auf meine Hände. Ich hatte tatsächlich angenommen, dass er mir gefolgt war, doch wahrscheinlich war er nur zufällig die Straße entlanggekommen,als er mich und Pete gesehen hatte. »Warte mal.« Ich lief zum Wagen, öffnete einen der Kartons auf dem Rücksitz, kramte darin herum und zog eine schwarzrote Jacke heraus. Ich trug sie zu Daniel hinüber und gab sie ihm.
Einen Moment lang hielt er sie in den Händen und fuhr mit dem Finger über das gestickte North-Face-Logo. »Die kann ich nicht annehmen«, sagte er dann und hielt sie mir hin.
Ich winkte ab. »Es geht hier nicht um Wohltätigkeit. Du warst schließlich mal mein Bruder.«
Er zuckte zusammen. Dann murmelte er: »Sie ist viel zu schön.«
»Ich würde dir ja eine andere geben, aber im Auto sind nur Frauenjacken. Jude hat die anderen, also wenn du gerne mit zum Obdachlosenheim kommen möchtest …«
»Nein.«
Im Hintergrund erklangen Rufe. Das Licht von ein paar Scheinwerfern wurde an der Ecke sichtbar.
»Wird schon gehen.« Er nickte
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