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Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)

Titel: Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bree Despain
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zugestanden hätte. Ich hatte das starke Bedürfnis, zu ihm zu gehen, steckte aber mit Charity auf den Chorbänken fest und musste stattdessen zusehen, wie Pastor Clarks Gewand hin- und herschwang, während er in salbungsvollen Tönen über Maryannes Warmherzigkeit und Großzügigkeit redete, obwohl er sie eigentlich kaum gekannt hatte. Ich ließ meinen Blick über die Menge schweifen und wünschte mir, ich hätte meiner Mutter oder meinem Bruder die telepathische Nachricht schicken können, meinen Vater in den Arm zu nehmen, doch meine Mutter war damit beschäftigt, im Gemeindesaal das Essen vorzubereiten, und Jude hatte sich in der dritten Reihe dicht an April geschmiegt.
    Ich heftete meinen Blick auf den Saum von Pastor Clarks Gewand und beließ ihn dort, bis ich mit meinem Gesangsvortrag an der Reihe war. Die Orgel hämmerte die Noten heraus, und ich versuchte, die Worte hervorzuwürgen. Mein Gesicht zitterte. Ich war kurz davor zu weinen, schob diesen Anfall aber wie üblich beiseite und schürzte die Lippen. Ich war mir sicher, dass ich keinen einzigen weiteren Ton singen konnte, ohne die Kontrolle zu verlieren. Charitys Stimme war so hoch und zittrig, dass ich kaum erkennen konnte, welchen Teil des Liedes sie sang. Ich blickte durch die Kirchenfenster in den trüben,verhangenen Himmel. Selbst die Wolken sahen aus, als wollten sie gleich vor lauter Gefühlen zerplatzen – und dann sah ich ihn.
    Daniel saß mit verschränkten Armen und geneigtem Kopf ganz hinten auf der überfüllten Galerie. Er musste die Intensität meines Blicks gespürt haben, denn er hob das Kinn. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich sehen, dass seine Augen rot umrandet waren. Einen Augenblick lang sah er hinunter und in mich hinein, als ob er jedes zurückgehaltene schmerzliche Gefühl in mir erkennen konnte, dann neigte er wieder den Kopf.
    Als ich mich endlich auf meinen Platz setzen konnte, hatte Neugier die Trauer abgelöst. Charity legte mir den Arm um die Schulter; zweifellos missdeutete sie meinen erschrockenen Gesichtsausdruck als extreme Aufruhr meiner Gefühle. Die dröhnende Lobrede der Duke-Töchter dauerte ewig. Angela Duke hatte sogar ein paar wohl platzierte Seitenhiebe gegen Dad mit eingebaut. Als der Gottesdienst schließlich endete und sich die Prozession der Trauergäste zur Grabstelle bewegte, sah ich, wie Daniel auf die Treppe der Galerie zuging, die zu einem separaten Ausgang führt. Ich sprang von meinem Platz auf, winkte jemandem zu, der sich für meinen Gesang – oder das Gegenteil davon – bedanken wollte und zog meinen anthrazitfarbenen Mantel und meine Lederhandschuhe über.
    »Mom braucht unsere Hilfe«, sagte Charity.
    »Bin sofort zurück.«
    Ich lief durch den Hauptgang und umschiffte dabei einpaar Frauen, die sich über die fehlende Empathie in Pastor Clarks Predigt ausließen. Irgendjemand zog mich am Ärmel und sagte meinen Namen. Es kann vielleicht Pete Bradshaw gewesen sein, doch ich blieb nicht stehen, um es herauszufinden. Ein unsichtbares Band schien an meinem Bauch befestigt zu sein, das mich durch die Türen hinaus auf den Parkplatz zog. Meine Schritte beschleunigten sich, ohne dass mein Kopf eine direkte Richtung vorgab, als ich Daniel am äußersten Ende des Parkplatzes auf ein Motorrad steigen sah.
    »Daniel!«, rief ich, als der Motor aufheulte.
    Er rutschte auf seinem Sitz nach vorn. »Kommst du mit?«
    »Was? Nein, ich kann nicht.«
    »Warum bist du dann hier?« Daniels immer noch rot umrandeten Schlammtörtchenaugen blickten mich fragend an.
    Ich konnte nichts dagegen tun, das unsichtbare Band zog mich einfach direkt zu ihm. »Hast du einen Helm?«
    »Das ist Zeds Motorrad. Selbst wenn er einen hätte, würdest du ihn nicht tragen wollen.« Daniel kickte den Motorradständer nach hinten. »Ich wusste, du würdest kommen.«
    »Halt die Klappe!«, gab ich zurück und kletterte auf den Rücksitz des Motorrads.
     
    Einen Herzschlag später
     
    Der Saum meines schlichten schwarzen Kleides rutschte nach oben und meine dazu passenden Sonntagsschuhe mit den hohen Absätzen machten sich plötzlich ganz sexy auf den Fußrasten des Motorrads. Der Motor heulte auf, und das Motorrad flog davon. Ich legte meine Arme um Daniels Taille und hielt mich fest.
    Kalte Luft blies mir ins Gesicht und brachte meine Augen zum Tränen. Ich presste mein Gesicht fest an Daniels Rücken und atmete eine Mischung aus wohlbekannten Gerüchen ein – Mandeln, Ölfarbe, Erde und ein Hauch von Firnis. Ich hinterfragte

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