Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
ihn an und musste daran denken, wie wir jedes Jahr alte Sachen für die Spendenaktion zu Thanksgiving zusammengesucht hatten. Mit ihm wieder zu arbeiten, fühlte sich beinahe wie früher an.
April schnappte sich ein paar Schlafsäcke und verteilte sie.
Lisa Jordan zog eine Garnitur fadenscheiniger Bettwäsche mit Star Wars -Motiven aus einem Karton – dieselbe Garnitur, aus der Daniel, Jude und ich Zelte gebastelt hatten, als wir noch klein waren und im Wohnzimmer Filmnächte veranstalteten. »Ich glaube, ich habe seit 1991 nicht mehr so spartanisch übernachtet«, sagte sie. »Nicht, seitdem Sirhan mich aufgenommen hat.«
Aus irgendeinem Grund hatte ich mir immer vorgestellt, dass ein Werwolfrudel, das sich irgendwo in den Bergen aufhielt, die ganze Zeit in einem Provisorium lebte und vielleicht in Höhlen oder Wohnwagen übernachtete. Angesichts der praktisch brandneuen Cadillac-Flotte – ganz zu schweigen von dem Aston Martin – sowie der prachtvollen Samtroben des Rudels allerdings, glaubte ich nun eher, dass Sirhans Lager einem europäischen Herrenhaus mit einem Dutzend zusätzlicher Garagen ähnelte.
Vermutlich lernt man das ein oder andere über langfristige Investitionen, wenn man sich seit fast tausend Jahren auf der Erde bewegt. Es war ganz klar, dass Sirhan und sein Rudel nur so in Geld schwammen. Kein Wunder, dass jemand wie Caleb die Kontrolle über dieses Rudel begehrte – denn damit war nicht nur Macht, sondern auch Sirhans Besitz verbunden.
»Ein paar von ihnen können auch bei mir übernachten«, sagte April. »Meine Mutter ist auf einer Geschäftsreise, und wir haben zwei zusätzliche Schlafzimmer.«
Ich sah April an. Sie bot ihr Haus ein paar Werwölfen zum Übernachten an? Aus irgendeinem Grund war ich nicht sonderlich überrascht.
Lisa ließ die Bettwäsche fallen und stellte sich aufgeregt auf die Zehenspitzen. »Habt ihr einen Fernseher?«, fragte sie. »Sirhan erlaubt keine Fernseher auf dem Besitz. Ich hab’ seit Jahren keinen Film mehr gesehen.«
»Aber sicher«, sagte April.
»Und Lakritz. Hast du Popcorn und Lakritz? Wir können einen richtigen Mädelsabend veranstalten!« Lisa sah glücklicher aus als ein Hündchen mit seinem neuen Spielzeug.
April grinste. »Und ich habe ein ganz neues Pediküre-Set.«
Lisa kreischte vergnügt auf und tätschelte Aprils Arme. »Wow! Ich hab’ seit den Achtzigern niemandem mehr die Fußnägel lackiert. Weißt du eigentlich, wie schlimm es ist, mit einem Haufen griesgrämiger alter Werwölfe zu leben? Meilenweit kein anderes Mädchen in der Nähe.«
»Willst du uns nicht Gesellschaft leisten, Grace?«, fragte April mit einem hoffnungsfrohen Lächeln. »Mädelsabend!«
»Nein, danke«, sagte ich. »Aber viel Vergnügen.« Ich hatte wirklich zu viel im Kopf, als mir über Filme und Make-up Gedanken zu machen. Einen ›Mädelsabend‹ konnte ich mir in nächster Zukunft überhaupt nicht vorstellen.
April warf Jude einen Blick zu. »Es muss ja nicht unbedingt nur ein Mädelsabend sein. Du kannst auch bei mir übernachten. Ich verspreche auch, deine Nägel nicht zu lackieren.«
»Nein.« Jude schüttelte entschieden den Kopf.
»Ist das dein Freund?«, hörte ich Lisa fragen, als sie auf Aprils Wagen zugingen. Eine kleine Gruppe Urbats folgte ihnen und verdrehte die Augen. Offenbar mussten sie das aufgeregte Geschnatter der Mädchen wohl ertragen, wenn sie es auf bequeme Betten abgesehen hatten.
Ich schaute zu Jude, dessen Augen April sehnsüchtig hinterherblickten. »Wenn du mitgehen willst, erfinde ich irgendeine Ausrede für Mom. Aber nur dieses eine Mal.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich möchte heute Nacht hierbleiben. In der Zelle unten im Keller.«
»Bist du sicher?«
»Ich will’s mir jetzt auch gar nicht leicht machen und wäre auch gern zu Hause«, sagte er. »Aber der Vollmond setzt morgen ein. Ich kann seine Kraft schon spüren.« Er presste den Mondstein, den Daniel ihm gegeben hatte, an seine Brust. »Ich fühle mich nur noch nicht so ganz wohl dabei, wenn ich mit der Familie im Haus übernachte. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn ich die kommenden Nächte in der Zelle verbringe. Nur als extra Vorsichtsmaßnahme.«
»Okay«, sagte ich zögernd. Es war ein großer Schritt gewesen, dass er freiwillig aus dem Käfig herauskommen wollte. Nun fürchtete ich, dass es ein Rückschritt wäre, ihn wieder dort einzusperren. Doch andererseits war sein Wunsch, für die Sicherheit der Familie eingesperrt zu bleiben, ein
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