Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
vernünftiger Grund. Ich hoffte nur, dass er deswegen nicht den Kampf für das Gute aufgeben würde.
Ich begleitete ihn in den Keller, zog die Gittertür hinter ihm zu und schloss ab.
»Nimm den Schlüssel«, sagte er.
Ich stopfte ihn in meine Tasche.
»Bis morgen früh«, sagte ich, bevor ich die Stufen hinaufstieg.
Jude antwortete nicht.
Kurz vor Mitternacht
Daniel und ich hatten entschieden, dass es für die verlorenen Jungs zu gefährlich wäre, wieder zum alten Duke-Haus zurückzukehren. Als wir schließlich nach Hause kamen, wunderte ich mich daher nicht, dass jede einigermaßen weiche Oberfläche im Haus von einem Teenager-Werwolf besetzt war. Brent war bereits auf der Wohnzimmercouch eingeschlafen; Ryan hatte sich unter dem Esstisch ein Lager aus rosafarbenen Kissen gebaut – die offenbar von Charity gekommen sein mussten, denn sie stammten von der Fensterbank ihres Zimmers. Zach schnarchte in Dads Fernsehsessel vor sich hin, und Slade lag im vorderen Wohnzimmer auf dem Sofa und zappte durch die verschiedenen Fernsehkanäle. Talbot saß vor ihm auf dem Fußboden und bearbeitete mit einem von Moms Küchenmessern einen Pfahl.
Ich war froh, dass sie alle da waren. Das Haus war zwar nicht sicher, denn schließlich wusste Caleb, wo es sich befand, aber es tröstete mich zu wissen, wo sich alle aufhielten, falls etwas Schlimmes passieren würde.
»Grace«, rief Mom, als sie aus dem Keller kam. »Ich hab bei den Campingsachen noch ein paar Decken gefunden. Könntest du noch mal zur Pfarrkirche rüberfahren und sie dort abgeben?«
»Na, sicher.« Ich seufzte laut und schnappte mir die Schlüssel.
»Ich mache es«, sagte Talbot. »Ich muss sowieso mal nach Hause.«
»Sicher?«, fragte ich, wobei mir nicht klar war, wo Talbot zu Hause war.
»Du kannst gerne hierbleiben. Du weißt doch: Gemeinsam sind wir stärker.«
»Schon in Ordnung«, erwiderte er und nahm seinen frisch gespitzten Pfahl an sich.
Mom reichte ihm die Decken. »Du kannst wirklich gerne hier übernachten«, sagte sie.
»Vielen Dank, aber es wird mir hier langsam etwas zu voll«, erwiderte er und richtete seinen Blick auf irgendetwas hinter Mom. Ich sah in dieselbe Richtung und entdeckte Daniel, der gerade zur Vordertür hereinkam. Ich hatte mich schon gefragt, ob ich ihn in dieser Nacht noch einmal sehen würde. Jarem, der große, dunkelhäutige Älteste, hatte nämlich darauf bestanden, Daniel jedem einzelnen Mitglied des Etlu-Clans persönlich vorzustellen.
Daniel und ich sahen uns an. Er lächelte, und mein Herz schlug plötzlich ein kleines bisschen schneller. Ich hatte kaum wahrgenommen, dass Talbot sich verabschiedet hatte und an Daniel vorbei zur Tür hinausgegangen war.
»Dieser Talbot ist ein netter Junge«, sagte Mom. Offenbar hatte er sie mit seinem Farmersjungen-Charme bezirzt.
»Hm«, sagte ich. Ich konnte meinen Blick nicht von Daniel abwenden. Irgendetwas an ihm hatte sich verändert. Die Art, wie er dastand und lächelte, ja sogar der Ausdruck in seinen Augen war anders. Endlich hatte er seine wahre Alpha-Natur akzeptiert – und Lisa hatte recht gehabt: Es stand ihm wirklich ausgezeichnet.
Als Daniel durch den Flur auf mich zukam, wurde sein Grinsen breiter. Jede Faser meines Körpers sehnte sich nach ihm.
»Nun, ich schätze, dass Daniel in Judes Zimmer schlafen kann. Dein Bruder kommt ja heute Abend nicht nach Hause«, sagte Mom. »Das Bett ist schmal, aber bequem. Viel besser als das Sofa.«
»Ja, ein bequemes Bett wäre nicht schlecht«, sagte ich. Als ich merkte, was ich da gerade laut ausgesprochen hatte, wurde mein Gesicht knallrot.
»Vielen Dank, Mrs Divine«, sagte Daniel, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen.«
Ja, das war in der Tat sehr nett. Aber auch etwas merkwürdig, wenn man Moms Gefühle für Daniel kannte, die normalerweise nicht so herzlich ausfielen. Ich fing schon an mich zu fragen, ob ihre aufmerksame Geste womöglich darauf schließen ließ, dass ihre geistige Gesundheit noch nicht wieder ganz hergestellt war. Bevor ich Daniel auch nur eine gute Nacht wünschen konnte, schob mich Mom an den Schultern zur Treppe und dirigierte mich nach oben. Erst in diesem Moment begriff ich, aus welchem Grund Mom Daniel eine bevorzugte Behandlung vor den anderen Jungen gewährte.
Judes Zimmer im Keller war am weitesten von meinem entfernt.
Aber das war egal, denn auch über die Distanz zweier Stockwerke und trotz all des Geschnarches und der sonstigen
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