Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
Zeremoniengewand in der Farbe leuchtender Korallen in die Hände gefallen. Ein rosa-orangefarbener Stoff mit seidigem Glanz – der mich sehr an meine Bettlaken zu Hause erinnerte.
Ich blickte über die Begrenzung des Kampfrings, der von brennenden Fackeln und dem Licht des mehr als lebendig wirkenden Monds erhellt wurde. Bis zum Beginn der Mondfinsternis waren es nur noch fünfundzwanzig Minuten. Ich betete, dass wir Caleb und seine Armee vor diesem Zeitpunkt besiegt haben würden. Denn wenn der Mond sich erst einmal rot färbte, würde die Hölle ausbrechen. Die Mitglieder des Etlu-Clans hatten sich neben die Fackeln postiert und bildeten den zeremoniellen ›Ring der Wächter‹, wie Jarem es bezeichnet hatte. Trotz des starken Winds, der an ihren juwelenbesetzten Roben zupfte, hielten sie ihre Speere ganz gerade.
Auf den Feldern außerhalb des Rings konnte ich die Umrisse zahlreicher Personen erkennen. Das Mondlicht spiegelte sich in den Augen einiger dieser Zuschauer wider.
Urbats. Massenweise Urbats.
Mindestens hundert, soweit ich es erkennen konnte.
»Sind sie alle gekommen, um als Herausforderer anzutreten?«, fragte ich Lisa, als ich mich neben sie zwischen zwei Fackeln stellte. Ich konnte die Besorgnis in meiner Stimme nicht verbergen. »Es sind so viele.«
»Überwiegend nur Zuschauer«, sagte sie und verstärkte den Griff um ihren Speer. »Hoffentlich.«
»Wo sind die denn alle hergekommen?«
»Von überall«, sagte sie. »Eine Zeremonie der Herausforderung ist eines der wenigen Dinge, die die Urbats massenweise anziehen.« Sie blickte über die Menge. »Ich kann Vertreter von mindestens fünfzehn verschiedenen Rudeln erkennen. Die Oberots haben ihren Alpha und seinen Sohn sogar aus Russland hierhergeschickt. Wenn nicht einer von ihnen als Herausforderer antreten würde, dann hätten sie den langen Weg nicht gemacht. Sie sind schon seit einiger Zeit ganz scharf darauf, unsere beiden Rudel zu vereinen.«
»Irgendwas von Caleb zu sehen?« Ich schaute noch einmal über die Menge, sah aber niemanden, den ich kannte. Keine Akhs oder Gelals. Keine Shadow Kings.
Lisa schüttelte den Kopf. »Die Zeremonie beginnt.«
Sie hielt ihren Speer fest, nahm Haltung an und richtete den Blick auf die Scheune. Gabriel, in eine burgunderrote Robe gekleidet, trat aus der Scheune. Eine zweite Person folgte ihm. Sie trug eine Robe, die so stark glänzte, als wäre sie aus reinen Goldfäden gesponnen worden. Die Kapuze der Robe verdeckte ihr Gesicht, aber an ihrer Haltung konnte ich erkennen, dass diese Person niemand anderer als Daniel war.
Jarem, der neben Lisa stand, begann, mit dem Schaft seines Speers auf den Boden zu hämmern. Das Geräusch war kaum zu hören, aber dann folgten Lisa und die anderen Speerträger seinem Beispiel. Sie hämmerten ihre Speere immer wieder auf den harten Boden, bis sich das Ganze wie die Trommeln irgendeines Eingeborenenstamms anhörte. Daniel und Gabriel betraten den Ring. Im Rhythmus der Schläge schritten sie bis zur Mitte des Kampfrings. Gabriel stellte sich auf das hölzerne Podest, das Bellamy über der Stelle errichtet hatte, an der Sirhan gestorben war. An diesem Ort sollte die Zeremonie beginnen – und enden. An dieser Stelle würde der Sieger verkündet werden.
Hinter den Hammerschlägen der Speere konnte ich Gemurmel aus der Menge hören. Viele Zuschauer spekulierten darüber, wieso Gabriel den Ring nicht allein betreten hatte.
Gabriel hob die Hände. Das Hämmern hörte auf und die Menge verstummte.
»Ich weiß, dass viele von euch in dem Glauben hierhergekommen sind, dass ich, als Sirhans Beta, derjenige bin, den es herauszufordern gilt«, sagte Gabriel. Er sprach laut und rief seine Worte in die Nacht hinaus, obwohl es bei so vielen Anwesenden mit Supergehör gar nicht nötig gewesen wäre. »Vor zwei Nächten allerdings hat Sirhan einen neuen Nachfolger bestimmt. Seinen Enkel, Daniel Etlu vom Etlu-Clan.«
Auf Gabriels Zeichen zog Daniel die Kapuze herunter. Sein Haar glänzte im Licht der Fackeln und wirkte fast so golden wie seine Robe. Drei schwarze Linien waren unter seine Augen gemalt worden, und eine weitere schwarze Linie zog sich von seiner Stirn bis zur Nasenspitze. Es war die zeremonielle Bemalung des Hauptbewerbers und sollte zeigen, dass Daniel die Person war, die man besiegen musste, um sich zum neuen Alpha erklären zu lassen. Die Bemalung ließ ihn wild und ursprünglich aussehen – wie einen waschechten Stammeskrieger.
In der Zuschauermenge
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