Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
Kühlabteilung.
Sportlerfrühstück , dachte ich, als ich mich an die Kasse stellte und mir einfiel, dass ich heute Morgen vergessen hatte, etwas zu essen. Das Loch in meinem Magen war so groß, dass ich beinahe an nichts anderes denken konnte und niemanden um mich herum wahrnahm. Aber plötzlich hörte ich, wie Mr Day den Kunden vor mir fragte, was er denn angesichts des Geheuls in der letzten Nacht zu tun beabsichtigte.
Mein Kopf schnellte hoch, und ich erkannte, dass ich hinter niemand Geringerem als Hilfssheriff Marsh stand. So ziemlich der Mensch, den ich in der Stadt am wenigsten ausstehen konnte – und definitiv der letzte Mensch, von dem ich hoffte, dass er etwas wegen Daniels Geheul unternahm.
»Ein paar Kerle aus der Stadt sind ganz wild darauf, eine Jagdgesellschaft zusammenzustellen«, sagte Marsh, während er Mr Day sein Roastbeef-Sandwich und einen Fertig-Protein-Shake reichte, damit dieser den Betrag in die Kasse eingeben konnte. »Bei den ganzen alten Geschichten in unserer Stadt kann dieses Geheul nichts Gutes bedeuten. Und anscheinend gibt es schon das erste Opfer zu beklagen.«
»Wen denn?«, fragte Mr Day, dessen Stimme kein Anzeichen von Skepsis erkennen ließ. Ich konnte ihm vom Gesicht ablesen, dass er gerade an seine Enkelin Jessica dachte, die vor einem Jahr einem dieser angeblichen Angriffe durch wilde Hunde zum Opfer gefallen war.
»Hab gerade gehört, dass die Ärzte im City Hospital davon ausgehen, dass dieser Bradshaw-Junge eher von einem Tier als von einem Menschen angegriffen wurde, wie wir zunächst vermutet haben. Es gibt Bisswunden, die darauf hindeuten. Der Junge ist noch bewusstlos, aber sein Zustand ist stabil. Ich wüsste zu gerne, woran er sich erinnert.«
Ein Teil von mir wollte am liebsten laut und erleichtert aufatmen, als ich hörte, dass Daniel in der Sache mit Pete Bradshaw nicht länger als Verdächtiger galt – Hilfssheriff Marsh hatte vermutet, dass Daniel es auf Pete abgesehen hatte, nachdem er im letzten Dezember über mich hergefallen war. Aber als ich sah, was Mr Day als Nächstes tat, fiel ich fast in Ohnmacht.
»Wenn Sie eine Jagdgesellschaft zusammenbringen, dann spendiere ich die Munition«, sagte Mr Day, zog eine kleine Schachtel unter dem Tresen hervor und stellte sie vor Marsh hin. Ich schielte auf die Beschriftung der Schachtel. Das meiste war in einer fremden Sprache geschrieben, doch eine Zeile konnte ich lesen: HANDGEFERTIGTE SILBERKUGELN. »Hab sie mir extra von einem Typen aus Rumänien kommen lassen.«
Hilfssheriff Marsh kicherte verlegen, als er die Schachtel in die Hand nahm. »Silberkugeln? Was für einen Wolf sollen wir denn damit jagen?«
»Man kann nie vorsichtig genug sein«, erwiderte Mr Day mit todernster Stimme. Seit dem Tag, an dem die verstümmelte und zerfleischte Leiche seiner Enkelin in dem Müllcontainer gefunden worden war, glaubte er fest an die Existenz des Markham Street Monsters. Ich hätte mir denken können, dass es nicht lange dauerte, bis jemand wie er zwei und zwei zusammenzählte und auf die Idee kam, dass das Monster ein Werwolf sein musste.
»Sie sind ein verrückter alter Kauz, Day. Aber ein solches Angebot kann ich nicht ablehnen.«
Ich wollte schon protestieren, als Michelle Evans, die an der anderen Kasse gerade einen 2-Kilo-Sack Hundefutter kaufte, das Wort ergriff. »Sie können nicht einfach losziehen und Wölfe erschießen«, sagte sie und sah Marsh böse an. »Die Wölfe sind vielleicht von der Liste der gefährdeten Tiere gestrichen, aber noch immer müssen Sie eine Erlaubnis beantragen.«
»Das haben wir, Ma’am.« Marsh tippte höflich an seinen Hut. »Noch ein weiterer Angriff, und die Naturschutzbehörde wird eine Erlaubnis erteilen – und dann gehe ich auf die Jagd.«
Völlig fassungslos sah ich zu, wie Hilfssheriff Marsh die Schachtel mit den Silberkugeln in seine Jackentasche steckte und davonschlenderte. Mr Day musste mich drei Mal ansprechen, bevor ich merkte, dass ich an der Reihe war. »Wie geht’s Daniel?«
»Unverändert«, murmelte ich. Wenn Mr Day doch bloß gewusst hätte, dass es sein Lieblingsangestellter war, den er mit diesen Silberkugeln in Gefahr brachte. Aber Hilfssheriff Marsh hatte Daniel nie gemocht, und daher hätte die Wahrheit Daniel wahrscheinlich nur umso mehr gefährdet.
»Wir vermissen ihn wirklich sehr.«
»Ich auch«, sagte ich.
April stand noch immer an der Frischtheke, also bezahlte ich für meine Sachen und lief aus dem Laden, bevor irgendjemand merkte,
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