Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
niemals … Was immer Daniel jetzt auch war, ich hatte keine Bösartigkeit an ihm bemerkt.
»Wann soll das denn passiert sein?«
»Kurz nach Mitternacht.«
»Gott sei Dank.« Daniel war um diese Zeit schon wieder in Rose Crest gewesen. Kurz vor zehn hatten wir ihn heulen hören, und Gabriel wollte die ganze Nacht bei ihm bleiben. Ich hätte also beweisen können, dass er es nicht war.
Dann kam mir plötzlich ein ganz anderer Gedanke. Vielleicht versuchte ja irgendwer es so aussehen zu lassen, als hätte Daniel es getan … Genauso wie Jude seinerzeit die Angriffe inszeniert hatte, um Daniel dadurch zu verleumden …
Ich schüttelte den Kopf. Anscheinend war ich von meinem nächtlichen Albtraum heute Morgen ganz paranoid geworden. Immerhin war Jude hinter Schloss und Riegel. Er war unter der Aufsicht von Zach und Ryan die ganze Nacht im Keller der Pfarrkirche gewesen.
»Ich, äh … ich muss dir was sagen, Grace.«
»Was denn?«
»Ich habe Jude gestern Nacht rausgelassen.«
»Du hast was ?«
»Er war so beunruhigt wegen deines Vaters. Er hat mich angefleht, ihn besuchen zu dürfen. Ich konnte es ihm einfach nicht abschlagen. Ich hab dann Zach und Ryan weggeschickt und Jude freigelassen. Er hat mir versprochen zurückzukommen. Er wollte nicht länger als zwei Stunden wegbleiben. Er hat geschworen, dass er nur kurz zu eurem Vater reingehen und dann sofort wieder herkommen wollte.«
»Bist du dageblieben und hast das überprüft?«
»Nein. Meine Mom rief an und war total sauer, weil ich um halb elf noch nicht zu Hause war. Ich bin dann gegangen. Ich weiß nicht, ob er …« April holte tief Luft. »Gracie, glaubst du, dass Jude es vielleicht gewesen ist?«
Eine Schwester aus dem Krankenhaus, in dem mein Vater lag, war getötet worden. Und zur selben Zeit war mein Bruder frei herumgelaufen. Höchstwahrscheinlich lief er noch immer frei herum und tat irgendwas, was nur Gott allein wusste. Alle Ängste, die ich seit dem Moment verspürte, als Jude behauptet hatte, nach Hause kommen zu wollen, schlugen wie eine Welle über mir zusammen.
»Ja.« Ich klappte das Handy zu und stürzte aus dem Haus in Richtung Pfarrkirche.
Ich musste mich selbst überzeugen.
KAPITEL 13
Unbeglichene Schulden
Ein paar Minuten später
Mein Knöchel war nach einer durchgeschlafenen Nacht zwar fast wieder verheilt, aber dennoch konnte ich nicht mit Höchstgeschwindigkeit losrennen, weil halb Rose Crest bereits auf den Beinen war. Es grenzte nahezu an Folter, meine Geschwindigkeit drosseln zu müssen, damit es so aussah, als würde ich nur einen kleinen Morgensprint hinlegen – was allerdings, wie mir plötzlich auffiel, noch überzeugender gewirkt hätte, wenn ich mir vorher Schuhe angezogen hätte. Und zu allem Überfluss trug ich immer noch diesen blassgrünen Krankenhauskittel, den sie mir in der Notaufnahme gegeben hatten.
Ich lief an Mr Day vorbei, der draußen vor seinem Laden eine Werbetafel aufstellte, und bog dann in die Crescent Street ein. Als ich sicher war, dass mich niemand beobachtete, drehte ich meine Geschwindigkeit auf und flog über den Parkplatz der Pfarrkirche und hinein in das Gebäude. Ich rannte über die Treppe in den dunklen Keller hinunter, ohne das Licht einzuschalten.
Was soll ich machen, wenn Jude nicht hier ist?
Was soll ich machen, wenn er da ist ?
Ich lief direkt zu dem improvisierten Käfig und umfasste mit beiden Händen die eisernen Gitterstäbe. Die Tür war verschlossen und mit einem dicken Vorhängeschloss versehen, aber die Stühle der beiden ›Wachleute‹ waren leer.
»Jude?«, rief ich in die dunkle Zelle hinein. »Jude!«
Ich hörte ein Stöhnen. Irgendjemand bewegte sich da in dem düsteren Käfig.
»Grace?«
Ich blinzelte ein paar Mal und leitete meine Kräfte zu den Augen, bis ich das altbekannte Gefühl hinter den Pupillen verspürte und meine Nachtsicht einsetzte. Jude saß auf der schmalen Pritsche in der hinteren Ecke des Käfigs. Sein langes Haar war zerzaust, und er rieb sich die Augen, so als wäre er bei meinem Hereinstürmen aus einem tiefen Schlaf geweckt worden. »Ich dachte mir schon, dass du heute vielleicht endlich mal vorbeikommst.« Er kniff die Augen zusammen und rieb sich mit der Hand übers Gesicht. »Wie spät ist es?«
Er war hier! Und hatte geschlafen. Jude war zurückgekommen. Das musste doch etwas heißen .
Er verwischt bloß seine Spuren, fauchte der Wolf. Und versucht dir vorzumachen, dass er unschuldig ist.
»Warst du es?«, fragte ich. »Hast du
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