Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
antrieb, meine Liebsten zu verletzen. Pete hatte diese Entschuldigung nicht. Er war vollkommen menschlich.
Und dennoch war er ein Monster.
Plötzlich fiel mir wieder ein, wie Pete in diesem Krankenhausbett gelegen hatte und von einem Arzt mit Elektroschocks behandelt worden war. Sein Gesicht hatte so völlig anders ausgesehen. Wie ein verzerrtes Abbild seiner selbst. Blass und leblos. Pete hatte seine Taten zwar aus eigenem Antrieb begangen, aber dennoch hatte er es nicht verdient zu sterben . Im Laufe des letzten Jahres hatte ich mir eingeredet, dass ich ihm alles vergeben hatte, aber war das wirklich so?
Und jetzt war es zu spät …
Und was würde geschehen, wenn ich zu lange damit wartete, allen zu vergeben?
Albtraum
Ich musste inmitten meiner Bücher und Unterlagen auf dem Bett eingeschlafen sein. Erst las ich noch und im nächsten Moment fand ich mich in der kleinen Gasse wieder, wo Pete mich am Abend der Weihnachtsparty angegriffen hatte. Ich trug das weiße Kleid mit der lilafarbenen Schärpe und konnte die kühle Nachtluft auf der Haut spüren, obwohl ich genau wusste, dass ich nur träumte.
Allerdings war es nicht einer dieser schönen Träume von Daniel. Es war ein Albtraum, denn ich erkannte, dass ich in der kleinen Gasse nicht allein war. Pete war da, genauso wütend und gefährlich wie in jener schrecklichen Nacht. Und auch die Angst und den Wunsch, so schnell wie möglich von ihm wegzukommen, verspürte ich wieder. Der Traum ging weiter und ich durchlebte noch weitere Geschehnisse aus jener Nacht: Don Mooney stach auf Pete ein und erstickte mich dann beinahe, in dem Versuch meine Schreie zu unterdrücken. Daniel rettete mich. Dann versuchten wir beide, Jude zu finden und ihn von der Schule wegzulocken, bevor er völlig dem Werwolffluch verfiel. In meinem Albtraum musste ich noch einmal durchleben, wie Jude uns auf das Dach der Pfarrkirche gefolgt war, und wieder sah ich, wie er Daniels Mondstein hinunterwarf. Ich erinnerte mich, wie Daniel den Kopf zurückwarf und einen Schrei ausstieß …
Am frühen Dienstagmorgen
Ich fuhr senkrecht im Bett hoch. Der Himmel draußen vor meinem Fenster zeigte ein lila gefärbtes, frühmorgendliches Grau. Ich dachte, dass mich Daniels Schrei aus meinem schrecklichen Traum geweckt hatte, aber dann erklang das Geräusch ein weiteres Mal, und mir wurde klar, dass es das Klingeln meines Handys auf dem Nachttisch war.
Ich hatte keine Ahnung, wer mich um diese Zeit anrufen sollte, war aber dankbar für die Unterbrechung meines Albtraums. Ein Teil von mir fragte sich, ob die Tatsache, dass ich diese schreckliche Nacht noch einmal durchleben musste, vielleicht Gottes Strafe dafür war, dass ich IHN so lange vernachlässigt hatte. Ich klappte mein Handy auf.
»Hallo«, sagte ich, noch immer etwas benebelt.
»Grace«, ertönte Aprils aufgeregte Stimme. »Hast du heute Morgen schon die Nachrichten gesehen?«
»Nein.« Ich sah auf die Uhr. »Es ist gerade mal sechs.«
»Ich bin früh aufgestanden, um Jude das Frühstück zu machen. Er war letzte Nacht sehr unruhig, und da dachte ich, er würde sich vielleicht besser fühlen, wenn ich ihm etwas von zu Hause mitbringe. Aber dann hab ich das Radio in der Küche eingeschaltet … und einen Bericht über etwas gehört, was im Krankenhaus passiert ist …« Sie war so aus dem Häuschen, dass sie ihren Satz nicht beenden konnte.
»Was?« Irgendwas über meinen Vater? Bitte lass es nichts über Dad sein!
»Eine Frau wurde auf dem Krankenhausparkplatz tot aufgefunden. Nahe diesem kleinen Wäldchen auf der Westseite. Eine Krankenschwester von der Intensivstation.«
»Wie bitte?« Im ersten Moment war ich erleichtert, dass die Sache nichts mit Dad zu tun hatte, aber dann ergriff mich Panik, als mir klar wurde, was das vielleicht bedeuten könnte. »Wissen sie, was passiert ist?«
»Sie sagen, es handelt sich um einen Angriff durch wilde Tiere.«
Das waren schlechte Nachrichten. Sehr. Sehr. Schlechte. Ich hörte wieder Hilfssheriff Marsh sagen, ein weiterer Vorfall würde ausreichen, damit er die Erlaubnis bekäme, eine Jagd zu veranstalten. Nachdem sich die Angriffe jetzt sogar mitten in der Stadt abspielten und mittlerweile zwei Menschen tot waren, hatte ich keine Ahnung, wie man diese Jäger davon abhalten könnte, Daniel zu verfolgen.
Plötzlich fiel mir ein, dass mich der weiße Wolf aus eben jenem kleinen Wäldchen beobachtet hatte, als ich das Krankenhaus verließ. Aber nein, das konnte nicht sein … Er würde
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