Urbi et Orbi
stellten sie vorsichtig auf den Boden.
Einer der Bestatter trat zu Michener. »Vielleicht würden Sie lieber draußen warten, Hochwürden. Für jemanden, der nicht daran gewöhnt ist, ist das kein angenehmer Anblick.«
Kurz entschlossen trat er in den Korridor, wo er auf Kardinal Ngovi stieß.
»Sind sie da?«, fragte Ngovi.
»Das italienische Gesetz verlangt eine vierundzwanzigstündige Frist vor dem Einbalsamieren. Das wissen Sie. Wir mögen uns hier zwar auf vatikanischem Staatsgebiet befinden, wie wir schon festgestellt haben, aber die Italiener würden doch erwarten, dass wir warten. «
Ngovi nickte. »Ich verstehe, aber der Arzt hat aus Rom angerufen. Jakob war mit Schlafmitteln voll gepumpt. Das sagt die Blutanalyse. Es war also Selbstmord, Colin. Kein Zweifel. Ich kann nicht zulassen, dass ein Beweis zurückbleibt. Der Arzt hat die Blutprobe vernichtet. Er kann und will nichts mehr enthüllen.«
»Und die Kardinäle?«
»Sie werden hören, dass Clemens einen Herzstillstand erlitten hat. Das wird auch auf dem Totenschein stehen.«
Er bemerkte die Anspannung in Ngovis Gesicht. Das Lügen fiel diesem Mann nicht leicht.
»Wir haben keine Wahl, Colin. Er muss einbalsamiert werden. Das italienische Gesetz kann mir gestohlen bleiben.«
Michener fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Es war ein langer Tag gewesen, und er war noch immer nicht vorbei . » Ich weiß, dass etwas ihn beunruhigt hat, aber nichts wies darauf hin, dass es so schlimm um ihn stand. Wie war er während meiner Abwesenheit?«
»Er war wieder in der Riserva. Man berichtete mir, dass Valendrea ihn dort aufgesucht hat. «
»Ich weiß.« Michener berichtete Ngovi, was Clemens ihm mitgeteilt hatte. »Er hat ihm den Inhalt von Hochwürden Tibors Brief gezeigt. Aber er wollte mir nicht sagen, was darin stand.« Dann erzählte er Ngovi mehr von Tibor und berichtete, wie der Papst auf die Nachricht vom Tod des Bulgaren reagiert hatte .
Ngovi schüttelte den Kopf. »Ich hätte niemals erwartet, dass seine Papstzeit auf diese Weise endet.«
»Wir müssen dafür sorgen, dass man seiner im Guten gedenkt. «
»Das werden wir. Und selbst Valendrea wird mitspielen.«
Ngovi zeigte zur Tür. »Ich glaube nicht, dass irgendjeman d d ie frühe Einbalsamierung in Frage stellt. Nur vier Menschen kennen die Wahrheit, und auch wenn einer von uns sich entschließt, sein Schweigen zu brechen, sind dann längst alle Beweise vernichtet. Außerdem mache ich mir da keine Sorgen. Der Arzt ist an seine gesetzliche Schweigepflicht gebunden, wir beide lieben den Verstorbenen, und Valendrea weiß, was gut für ihn ist. Das Geheimnis ist also sicher.«
Die Schlafzimmertür ging auf, und einer der Bestatter kam heraus. »Wir sind beinahe fertig.«
»Werden die Körperflüssigkeiten des Papstes verbrannt?«, fragte Ngovi.
»So halten wir es seit jeher. Unser Unternehmen ist stolz darauf, dem Heiligen Stuhl zu Diensten zu sein. Sie können sich auf uns verlassen.«
Ngovi bedankte sich, und der Mann kehrte ins Schlafzimmer zurück.
»Und jetzt?«, fragte Michener.
»Seine Papstkleidung ist aus Rom gebracht worden. Wir beide werden ihn zur Bestattung einkleiden.«
Michener verstand die Bedeutung dieser Geste und sagte : » Ich glaube, das hätte ihm gefallen.«
D ie Wagenkolonne fuhr langsam durch die verregneten Straßen Richtung Vatikan. Sie hatten für die rund zwanzig Kilometer von Castel Gandolfo beinahe eine Stunde gebraucht, da der Weg von Tausenden von Trauernden gesäumt war. Michener fuhr mit Ngovi im dritten Fahrzeug, die anderen Kardinäle wurden in Wagen chauffiert, die man eilig aus dem Vatikan hatte kommen lassen. Voran fuhr ein Leichenwagen. Darin lag Clemens ’ Leiche aufgebahrt, bekleidet mit den Papstgewändern und der Papstkrone und so beleuchtet, dass die Gläubigen ihn sehen konnten. Jetzt, kurz vor achtzehn Uhr , schien es, als wären alle Römer auf den Bürgersteigen versammelt, und die Polizei musste die Straßen freihalten, damit die Wagen durchkamen.
Der Petersplatz war gerammelt voll, doch zwischen einem Meer von Regenschirmen war eine Gasse freigehalten worden, die sich zwischen den Kolonnaden zum Dom durchwand. Das Weinen und Klagen tönte hinter den Wagen her. Viele der Trauernden warfen Blumen auf die Motorhauben, so viele, dass sie irgendwann fast den Blick durch die Windschutzscheibe verdeckten. Einer der Sicherheitsleute wischte den Haufen irgendwann einfach herunter, doch kurz darauf lag ein neuer da.
Die Wagen
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