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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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Bücher und ein paar Computerdisketten. Nichts Wichtiges, bis zur untersten Schublade auf der rechten Seite, wo er Clemens ’ letzten Willen fand. Der Papst setzte sein Testament traditionsgemäß selbst auf und schrieb mit eigener Hand seine letzten Wünsche und seine Hoffnungen für die Zukunft nieder. Clemens ’ Testament bestand aus einem einzigen, zusammengelegten Blatt. Michener schlug es auf und bemerkte sofort das Datum: zehnter Oktober. Kaum mehr als ein Monat war seitdem vergangen.
    Ich, Jakob Volkner, äußere hiermit im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten meinen letzten Willen und lege mein Testament nieder. Alles, was ich zum Zeitpunkt meines Todes besitze, vererbe ich an Colin Michener. Meine Eltern sind vor langer Zeit gestorben, und meine Geschwister sind ihnen in den Jahren darauf gefolgt. Colin hat mir lang und gut gedient. Er ist mir das, was in dieser Welt einer Familie am nächsten kommt. Ich bitte ihn, mit meinem Besitz nach seinem Dafürhalten zu verfahren, mit der Weisheit und dem guten Urteilsvermögen, dem ich Zeit meines Lebens vertrauen durfte. Ich möchte um eine einfache Trauerzeremonie bitten und würde am liebsten in Bamberg, im Dom meiner Kindheit bestattet, doch ich verstehe es, wenn die Kirche anders entscheidet. Als ich die Petrusnachfolge annahm, nahm ich auch die damit verbundenen Pflichten an, einschließlich der Pflicht, an der Seite meiner Brüder unter dem Petersdom zu ruhen. Außerdem bitte ich alle, die ich durch Worte oder Taten gekränkt habe, um Vergebung. Besonders bitte ich unseren Herrn und Erlöser um Vergebung für alle Schwächen und Unzulänglichkeiten, die ich gezeigt habe. Möge er meiner Seele gnädig sein.
     
    I n Micheners Augen stiegen Tränen auf. Auch er hoffte, dass Gott der Seele seines lieben Freundes gnädig sein würde. Die katholische Lehre war eindeutig. Der Mensch war dazu verpflichtet, sein Leben zu ehren, weil er es von Gott bekommen hatte. Er verwaltete es nur im Namen des Allmächtigen, doch es gehörte ihm nicht. Selbstmord ließ sich mit der Selbstliebe und der Liebe zum lebendigen Gott nicht vereinbaren. Er zerriss das Band der Solidarität mit Familie und Volk. Kurz, er war eine Sünde. Doch die Erlösung derer, die sich mit eigener Hand das Leben nahmen, war nicht endgültig ausgeschlossen. Die Kirche lehrte, dass Gott auf Wegen, die nur ihm bekannt waren, eine Gelegenheit zur Buße bieten werde.
    Michener hoffte, dass dem wirklich so war.
    Falls es den Himmel gab, verdiente Jakob Volkner den Zutritt. Was immer ihn dazu gezwungen hatte, das Unaussprechliche zu tun, sollte seine Seele nicht zu ewiger Verdammnis verurteilen.
    Michener legte das Testament aus der Hand und bemühte sich, nicht an die Ewigkeit zu denken.
    In letzter Zeit hatte er festgestellt, dass er öfter über seine eigene Sterblichkeit nachdachte. Er näherte sich den fünfzig. Das war noch gar nicht so alt, doch das Leben kam ihm nicht mehr endlos vor. Mittlerweile konnte er sich eine Zeit vorstellen, in der Körper oder Geist ihm nicht mehr gestatten würden, das Leben so zu genießen, wie er es gewohnt war. Wie lange würde er noch leben? Zwanzig Jahre? Dreißig? Vierzig? Clemens war mit beinahe achtzig Jahren immer noch voller Leben gewesen und hatte regelmäßig bis zu sechzehn Stunden täglich gearbeitet. Wenn Michener nur halb so vital blieb, konnte er schon froh sein. Doch so oder so, früher oder später würde sein Leben zu Ende gehen. Er fragte sich, ob die Entbehrungen und Opfer, die seine Kirche und sein Gott ihm abverlangten, die Sache wert waren.
    Würde es eine Belohnung im Leben nach dem Tod geben? Oder kam dann einfach gar nichts?
    Erde zu Erde.
    Er riss sich zusammen und machte sich wieder an die Arbeit.
    Das Testament würde er der vatikanischen Pressestelle übergeben müssen. Es war Brauch, den letzten Willen des Papstes zu veröffentlichen, aber zunächst musste der Camerlengo dem zustimmen. Er steckte das Blatt in seine Soutane.
    Michener beschloss, die Möbel anonym einem lokalen Wohltätigkeitsverein zu schenken. Die Bücher und die wenigen persönlichen Sachen würde er als Erinnerungsstücke a n e inen Mann aufbewahren, den er geliebt hatte. An der hinteren Zimmerwand stand die Holztruhe, die Clemens schon seit Jahren sein Eigen nannte. Michener wusste, dass sie in Oberammergau gefertigt worden war, einer bayerischen Stadt am Fuße der Alpen, die für ihre Schnitzereien berühmt war. Mit den Reliefs der Apostel, der Heiligen und der

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