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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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seiner Wahl vierundsiebzig gewesen und letztendlich hatten die meisten Kardinäle ihn einfach deshalb gewählt, weil er nicht mehr lange leben würde.
    »Es wird keine Autopsie geben«, antwortete Ngovi schlicht.
    Sein Tonfall ließ erkennen, dass er in diesem Punkt nicht mit sich reden lassen würde. Normalerweise hätte Valendrea ihm diese Anmaßung übel genommen, diesmal jedoch nicht. Er seufzte erleichtert auf. Offensichtlich hatte sein Gegner beschlossen, das Spiel mitzuspielen, und zum Glück stellte keiner der Kardinäle seine Entscheidung in Frage. Einige warfen einen Blick in Valendreas Richtung, als erwarteten sie eine Reaktion von seiner Seite. Als er schwieg, wurde es als Zeichen aufgefasst, dass der Staatssekretär mit der Entscheidung des Camerlengos einverstanden war.
    Abgesehen von den theologischen Implikationen eines päpstlichen Selbstmordes war Valendrea auch nicht auf eine Welle des Mitgefühls für Clemens erpicht. Es war kein Geheimnis, dass der Papst und er sich nicht verstanden hatten. Die Presse könnte indiskrete Fragen stellen, und er wollte nicht als der Mann dastehen, der den Papst in den Tod getrieben hatte. Die um ihre Karriere besorgten Kardinäle würden dann vielleicht einen anderen wählen, Ngovi zum Beispiel, und dieser würde Valendrea mit Sicherheit aller Funktionen entheben – Abhörprotokolle hin oder her. Beim letzten Konklave hatte Valendrea gelernt, die Macht einer Koalition niemals zu unterschätzen. Zum Glück hatte Ngovi das Wohl der Kirche offensichtlich höher bewertet als diese wunderbare Gelegenheit, seinen Hauptkonkurrenten auszuschalten. Valendrea war froh über diese Schwäche. Im umgekehrten Fall hätte er bestimmt keine Rücksicht genommen.
    »Ich habe noch eine Mahnung an Sie«, sagte Ngovi.
    Wiederum konnte Valendrea nichts dagegen einwenden. Es kam ihm so vor, als genösse der Bischof von Nairobi seine selbst auferlegte Zurückhaltung.
    »In zwei Wochen wird man uns in der Sixtinischen Kapell e e inschließen, und ich möchte bei dieser Gelegenheit jedem von Ihnen den Eid in Erinnerung rufen, im Vorfeld mit niemandem über das Konklave zu sprechen. Es wird keine Wahlkampagne geben, keine Interviews. Jeder von Ihnen wird sich mit seiner Meinung zurückhalten«
    »Ich brauche keinen Vortrag«, stellte einer der Kardinäle klar.
    »Sie vielleicht nicht. Aber einige unter uns durchaus.«
    Mit diesen Worten verließ Ngovi den Saal.
    32
    15 .00 Uhr
     
    M ichener saß auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch und sah zu, wie zwei Nonnen Clemens ’ Leiche wuschen. Der Arzt hatte seine Untersuchung vor Stunden abgeschlossen und war mit der Blutprobe nach Rom zurückgekehrt. Kardinal Ngovi hatte inzwischen angeordnet, dass keine Autopsie gemacht würde, und da Castel Gandolfo zum Vatikan gehörte, also souveränes Territorium eines unabhängigen Staates war, würde niemand diese Entscheidung in Frage stellen. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen galt hier das kanonische – und nicht das italienische Recht.
    Es war merkwürdig, die nackte Leiche eines Mannes anzusehen, den er länger als ein Vierteljahrhundert gekannt hatte. Er dachte an die lange Zeit ihrer Freundschaft zurück. Clemens hatte ihm damals geholfen, sich darüber klar zu werden, dass sein leiblicher Vater einfach mehr an sich selbst als an sein Kind gedacht hatte. Er hatte ihm erklärt, welche Moral v orstellungen damals die irische Gesellschaft beherrscht hatten und welchem Druck seine leibliche Mutter als ledige Frau mit Sicherheit ausgesetzt gewesen war. Wie kannst du ihr einen Vorwurf machen? , hatte Volkner gefragt. Und Michener hatte es eingesehen. Wenn er ihr weiterhin grollte, trübte das nur das Andenken an all das Gute, was seine Adoptiveltern für ihn getan hatten. So hatte er schließlich seinen Zorn abgelegt und der Mutter und dem Vater vergeben, die er niemals kennen gelernt hatte.
    Jetzt betrachtete er die Leiche des Mannes, der ihn das Verzeihen gelehrt hatte. Er war hier, weil das Protokoll die Anwesenheit eines Geistlichen verlangte. Normalerweise erfüllte der päpstliche Zeremonienmeister diese Pflicht, doch jener Monsignore war verhindert. Daher hatte Ngovi Michener als Ersatzmann einbestellt.
    Er stand auf und ging vor der Balkontür auf und ab. Die Nonnen wuschen Clemens fertig, und die Bestattungsfachleute trafen ein. Sie waren für Roms größte Leichenhalle zuständig und balsamierten seit Paul VI. die Päpste ein. Sie hatten fünf Flaschen einer rosa Flüssigkeit dabei und

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