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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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Jungfrau verziert, wirkte das makellose Objekt fast wie ein Riemenschneider.
    In all ihren gemeinsamen Jahren hatte er nie erfahren, was Clemens in der Truhe aufbewahrte. Jetzt gehörte sie ihm. Er ging hinüber und versuchte, den Deckel aufzuklappen. Abgeschlossen. Es gab ein messingbeschlagenes Schloss. Er hatte aber nirgends in der Wohnung einen Schlüssel gefunden und wollte die Truhe nicht durch gewaltsames Aufbrechen beschädigen. Daher beschloss er, sie ungeöffnet mitzunehmen und sich später über den Inhalt Gedanken zu machen.
    Michener trat wieder zum Schreibtisch und räumte die verbliebenen Schubladen aus. In der letzten fand er ein dreifach gefaltetes Blatt päpstliches Briefpapier. Darauf stand handschriftlich:
     
    I ch, Clemens XV. , habe an diesem Tag Hochwürden Colin Michener in den Rang eines Kardinals erhoben.
     
    M ichener traute seinen Augen kaum. Clemens hatte sein Recht ausgeübt, ihn in petto zum Kardinal zu erheben – geheim. Normalerweise wurde ein Geistlicher durch eine Urkunde des amtierenden Papstes von seiner Erhebung in den Kardinalsstand informiert. Diese wurde veröffentlicht, und in einer Kardinalsversammlung wurde der neue Würdenträger feierlich eingesetzt. Doch in kommunistischen Staaten oder anderen Diktaturen, wo der Kandidat gefährdet sein mochte , waren geheime Ernennungen üblich geworden. Die Regeln für Ernennungen in petto legten fest, dass als Zeitpunkt der Erhebung die Ernennung selbst und nicht deren Veröffentlichung galt, doch es gab eine andere Regel, die Michener den Mut nahm. Starb ein Papst vor der Öffentlichmachung einer solchen Ernennung, war diese hinfällig.
    Michener hielt das Dokument in der Hand. Das Datum lag zwei Monate zurück.
    So nahe war er einem purpurroten Birett gekommen.
    Gut möglich, dass als Nächster Alberto Valendrea in die Papstwohnung einziehen würde. Die Chance, dass der neue Papst eine In-petto -Ernennung Clemens ’ XV. bestätigte, war minimal. Doch zum Teil machte das Michener gar nichts aus. Angesichts der Aufregungen der letzten achtzehn Stunden hatte er nicht mehr an Hochwürden Tibor gedacht, doch jetzt fiel ihm der alte Priester wieder ein. Vielleicht würde Michener in das Waisenhaus in Zlatna zurückkehren und das zu Ende bringen, was der Bulgare angefangen hatte. Irgendetwas sagte ihm, dass dieser Schritt genau richtig für ihn wäre. Sollte die Kirche sich quer stellen, würde er den ganzen Laden zum Teufel schicken, allen voran Alberto Valendrea.
    Sie möchten Kardinal werden? Dann müssen Sie das Maß Ihrer Verantwortung begreifen. Wie können Sie von mir die Ernennung erwarten, wenn Sie nicht sehen, was so klar vor Augen liegt?
    Das hatte Clemens ihm letzten Donnerstag in Turin gesagt. Michener hatte sich über den scharfen Tadel gewundert. Jetzt, da er wusste, dass sein Gönner ihn damals schon erhoben hatte, wunderte er sich sogar noch mehr. Wie können Sie von mir die Ernennung erwarten, wenn Sie nicht sehen, was so klar vor Augen liegt?
    Was sollte er sehen?
    Er steckte das Dokument in die Tasche seiner Soutane, zusammen mit dem Testament.
    Keiner würde je erfahren, was Clemens entschieden hatte. Doch das spielte keine Rolle mehr. Wichtig war allein, dass sein Freund ihn für würdig befunden hatte, und das genügte ihm.
    33
    20.30 Uhr
     
    M ichener packte alles in die fünf Kartons, die die Schweizergardisten ihm gebracht hatten. Schrank, Kommode und Nachttische waren jetzt leer geräumt. Die Möbel wurden von Arbeitern hinausgekarrt und in einem Kellerraum gelagert, bis geklärt war, wer sie bekommen würde.
    Er stand im Korridor, als die Tür ein letztes Mal geschlossen und mit Blei versiegelt wurde. Mit größter Wahrscheinlichkeit würde er die Papstwohnung nie wieder betreten. Nur wenige in der Kirche kamen jemals so weit, und nur die allerwenigsten schafften es ein zweites Mal. Seine Zeit war um, da hatte Ambrosi Recht. Die Räume würden erst wieder geöffnet werden, wenn ein neuer Papst vor der Tür stand und das Siegel erbrochen wurde. Bei dem Gedanken, dass Alberto Valendrea dieser neue Bewohner sein könnte, überlief Michener ein Schauder.
    Die Kardinäle waren noch immer im Petersdom versammelt, wo jetzt eine Totenmesse für den Verstorbenen gehalten wurde, eine von vielen, die in den nächsten neun Tagen folge n w ürden. Michener hatte unterdessen noch eine letzte Aufgabe, bevor sein Amt offiziell endete. Er stieg in den zweiten Stock hinunter.
     
    W ie in Clemens ’ Wohnung, so gab es auch

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