Urbi et Orbi
in Micheners Büro wenig, was nicht zurückbleiben würde. Alle Möbel gehörten dem Vatikan; ebenso die Gemälde an der Wand, einschließlich eines Porträts Clemens ’ XV. Micheners eigene Sachen würden in einen einzigen Karton passen: ein paar Kleinigkeiten von seinem Schreibtisch, eine bayerische Tischuhr und drei Fotos seiner Eltern. Als Assistent Volkners hatte er immer alles gehabt, was er an materiellen Dingen brauchte. Abgesehen von ein paar Kleidungsstücken und einem Notebook nannte er nichts sein Eigen. Im Laufe der Jahre hatte er einen großen Teil seines Gehalts gespart und besaß nun – nachdem er auf ein paar kluge Ratschläge gehört und sein Geld gut investiert hatte – ein paar hunderttausend Dollar in einem Bankdepot in Genf. Das war für seine Pensionierung gedacht, da die Kirche für ihre Priester schlecht vorsorgte. Eine Reform des Pensionsfonds war ausführlich diskutiert worden, und Clemens wollte diese angehen, doch diese Bemühungen mussten nun ruhen, bis der nächste Papst im Amt war.
Michener setzte sich an den Schreibtisch und schaltete ein letztes Mal seinen Computer ein. Er musste seine E-Mails abrufen und einige Anweisungen für seinen Nachfolger schreiben. In den letzten Wochen hatten seine Stellvertreter das meiste für ihn erledigt, und er sah, dass fast alle Nachrichten bis nach dem Konklave warten konnten. Je nachdem, wer Papst wurde, würde man ihn nach dem Konklave vielleicht noch für ein zwei Wochen benötigen, um den Übergang zu erleichtern. Sollte allerdings Valendrea sich den Papststuhl sichern, wäre höchstwahrscheinlich Paolo Ambrosi der nächst e p äpstliche Privatsekretär. Dieser würde Michener sofort von allen Aufgaben freistellen und seine Vollmachten widerrufen. Dagegen hätte er nichts einzuwenden. Er würde Ambrosi gewiss nicht helfen wollen.
Mechanisch scrollte er die Liste seiner E-Mails weiter hinunter und überprüfte jede vor dem Löschen. Ein paar ließ er stehen und versah sie mit einer kurzen Notiz für spätere Bearbeiter. Einige waren Kondolenzschreiben befreundeter Bischöfe, und er schickte eine kurze Antwort zurück. Vielleicht würde ja einer von ihnen einen Assistenten brauchen? Doch er verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Einmal war genug. Was hatte Katerina ihm in Bukarest gesagt? Wirst du dein Leben im Dienst von anderen verbringen? Wenn er sich einer Sache wie der Hochwürden Tibors verschrieb, würde Clemens ’ XV. Seele vielleicht Erlösung finden. Micheners Opfer konnte als Buße für die Fehler seines Freundes dienen.
Bei diesem Gedanken fühlte er sich besser.
Auf dem Bildschirm erschien nun der Weihnachtsterminplan für den Papst. Man hatte ihn nach Castel Gandolfo gemailt, um ihn absegnen zu lassen, und Clemens hatte ihn mit seinen Initialen abgezeichnet. Der Papst sollte die traditionelle Heiligabendmesse im Petersdom zelebrieren und am ersten Weihnachtstag die Weihnachtsbotschaft vom Balkon aus verkünden. Michener überprüfte, um welche Uhrzeit die Antwort des Papstes von Castel Gandolfo an ihn abgeschickt worden war. Samstagvormittags, Viertel nach zehn. Also ungefähr zum Zeitpunkt seiner Rückkehr aus Bukarest und seiner Ankunft in Rom, lange vor seinem ersten Gespräch mit Clemens. Von Hochwürden Tibors Ermordung hatte der Papst erst viel später erfahren. Eigenartig, dass ein Papst mit Selbstmordabsichten sich die Zeit genommen hatte, einen Terminplan zu überprüfen, den er ohnehin nicht einhalten wollte.
Michener klickte die letzte Nachricht an und stellte fest, dass der Absender unbekannt war. Gelegentlich erhielt er anonyme Mails von Leuten, die irgendwie seine Adresse in Erfahrung gebracht hatten. Meistens waren es harmlose Botschaften frommer Seelen, die ihrem Papst ihre aufrichtigsten Grüße senden wollten.
Er öffnete den Eintrag und stellte fest, dass die Mail aus Castel Gandolfo kam und am Vorabend abgeschickt worden war. Und zwar um dreiundzwanzig Uhr sechs.
I nzwischen wissen Sie, was ich getan habe, Colin. Ich erwarte nicht, dass Sie es verstehen. Sie sollen nur wissen, dass die Jungfrau hier war und mir erklärte, dass meine Zeit gekommen sei. Hochwürden Tibor war bei ihr. Ich erwartete, dass sie mich gleich mitnehmen würde, doch sie sagte, ich müsse mein Leben mit eigener Hand beenden. Hochwürden Tibor sagte, das sei meine Pflicht und die Buße für meinen Ungehorsam. Alles werde sich später klären. Ich sorgte mich um meine Seele, doch sie sagten mir, der Herr erwarte mich. Zu lange
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