Urbi et Orbi
über Spione verfügt. «
»Haben Sie eine Ahnung, wo er war?«
»Ich weiß nur, dass er mit einem Privatflugzeug vor Einbruch der Dunkelheit vom Flughafen Rom abgeflogen ist und am nächsten Morgen mit demselben Flugzeug zurückkam.«
Michener erinnerte sich, was für ein unbehagliches Gefühl er damals im Café beim Gespräch mit Katerina und Tibor gehabt hatte. Wusste Valendrea über Hochwürden Tibor Bescheid? War er selbst vielleicht beschattet worden? »Samstagabend ist Tibor gestorben. Was wollen Sie damit sagen, Maurice?«
Ngovi beschwichtigte ihn mit einer Handbewegung. »Ich zähle nur die Tatsachen auf. Freitag zeigte Clemens Valendrea in der Riserva das, was Hochwürden Tibor ihm geschickt hatte – was das war, wissen wir nicht. In der Nacht darauf wurde Tibor ermordet. Ob Valendreas überstürzte Reise mit Tibors Ermordung zusammenhängt, weiß ich nicht. Aber der Priester hat zu einem äußerst merkwürdigen Zeitpunkt das Zeitliche gesegnet, finden Sie nicht auch?«
»Und Sie meinen, in Bosnien wäre eine Antwort auf dieses Rätsel zu finden?«
»Clemens war dieser Überzeugung.«
Allmählich verstand Michener Ngovis wahre Beweggründe. Aber er wollte noch etwas wissen. »Was ist mit den Kardinälen? Müssten sie nicht über meine Reise informiert werden?«
»Sie sind nicht in offizieller Mission unterwegs, Colin. Das hier ist eine Sache zwischen Ihnen und mir. Eine Verneigung vor unserem verstorbenen Freund. Außerdem werden die Kardinäle und ich ab morgen im Konklave sein. Eingeschlossen. Da kann man niemanden informieren.«
Jetzt verstand er, warum Ngovi mit diesem Auftrag so lange gewartet hatte. Doch er erinnerte sich auch an Clemens ’ Warnung vor Alberto Valendrea. Dass es unmöglich sei, etwas vor ihm geheim zu halten. Er ließ die Augen über die jahrhundertealten Wände wandern. War es möglich, dass jemand sie belauschte? Nun, letzten Endes spielte das keine Rolle. »Einverstanden, Maurice. Ich mache es. Aber nur, weil Sie mich darum bitten und Jakob es so wollte. Danach war ’ s das aber.«
Er hoffte, dass Valendrea das gehört hatte.
35
16.30 Uhr
V alendrea war überwältigt von der Informationsfülle, die die Abhörvorrichtungen ihm verschafft hatten. Ambrosi hatte in den letzten zwei Wochen das Material nächtelang bearbeitet, alles Triviale aussortiert und das Gold herausgewaschen. Die gekürzten Versionen, die er Valendrea auf Mikrokassetten übergab, ließen die Ansichten und Haltungen der Kardinäle deutlich erkennen, und der Staatssekretär stellte zu seiner Freude fest, dass er allmählich in den Augen vieler Würdenträger durchaus papabile war, auch wenn er sich die Stimmen einiger unentschiedener Kollegiumsmitglieder noch endgültig sichern musste.
Seine bewusste Zurückhaltung machte sich bezahlt. Diesmal hatte er, anders als beim letzten Konklave, seinem Vorgänger die Ehrerbietung erwiesen, die man von einem Prälaten der katholischen Kirche erwartete. In den Medien wurde er inzwischen zusammen mit Maurice Ngovi und vier anderen Kardinälen als aussichtsreicher Kandidat gehandelt.
Gestern, als Valendrea für sich noch einmal seine Unterstützer gezählt hatte, war er auf achtundvierzig sichere Stimmen gekommen. Falls alle hundertdreizehn wahlberechtigten Kandidaten nach Rom kamen, was zu erwarten war , wenn nicht irgendjemand in letzter Minute schwer erkrankte, brauchte er sechsundsiebzig Stimmen, um den Sieg gleich in einem der ersten Wahlgänge davonzutragen. Zum Glück sahen die von Johannes Paul II. eingeführten Reformen nach dem dritten Wahltag eine Änderung des Prozedere vor. Wenn bis dahin kein Papst gewählt war, würden mehrere Wahlgänge rasch hintereinander folgen und im Anschluss daran ein Tag des Gebets und Gesprächs. Falls nach einem zwölftägigen Konklave noch immer kein Papst bestimmt war, konnte der Pontifex auch mit nur der absoluten Mehrheit der Stimmen gewählt werden. Anders gesagt, die Zeit arbeitete für Valendrea, denn er besaß eine klare Mehrheit und damit gleichzeitig mehr als genug Stimmen, um die frühzeitige Wahl eines anderen Kandidaten zu blockieren. Gegebenenfalls war eine Verzögerungstaktik die beste Strategie – vorausgesetzt natürlich, er konnte seinen Stimmenblock zwölf Tage lang halten.
Einige Kardinäle erwiesen sich als Problem. Sie hatten ihm ihre Unterstützung zugesichert, sich dann aber hinter seinem Rücken, wenn sie sich unbelauscht glaubten, ganz anders geäußert. Valendrea war dem nachgegangen und
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