Urgum der Barbar
jeder Divina mit großem Respekt behandelte.
Aber auch wenn ihre alten Freunde sie immer grüßten und ihr mit Höflichkeit und Lächeln begegneten, fühlte Divina sich zunehmend unwohl in ihrer Gegenwart. Bildete sie sich das nur ein oder klang das ansonsten sanfte Glucksen plötzlich mehr nach einem fiesen Kichern, sobald sie sich umdrehte? Behandelte man sie wirklich wie eine Gleichgestellte? Und dann, an einem sehr heißen Morgen, wurde Divinas Verdacht durch einen Zufall plötzlich bestätigt.
Molly saß gerade draußen an der Kreuzung und versuchte, ein paar kleine Armreifen und Ketten zu verkaufen, die sie aus ihren selbst gezüchteten Blumen gebastelt hatte. Divina war bei ihr, als die Frau des Kanzlers, Suprema, vorbeiging, Molly gleichgültig ein paar kleine braune Bronzemünzen zuwarf und sich bückte, um alles aufzuheben, was Molly gemacht hatte.
Molly war überglücklich und krabbelte auf dem Boden herum, um die Münzen aufzuheben.
»Das war sehr liebenswürdig«, sagte Divina.
»Also wirklich, Divina!« Suprema verzog das Gesicht. Sie hatte die Blumen bereits zu einem unordentlichen Knäuel zusammengedrückt und sie über die Schulter geworfen. »Bettlern etwas zu geben, nennt man Wohltätigkeit. Und deshalb kann ich mir das Geld von der Steuerabteilung des Palastes zurückholen.«
Bettler? In dem Moment nahm sich Divina vor, ihren alten Freunden zu zeigen, dass ihr Lebensstil ein anderer sein mochte, aber sie deshalb noch lange keine Bettlerin war. Auch wenn ihr Ehemann der härteste Kerl in der Wüste war, musste Divina zeigen, dass sie das nicht ihren gewohnten Standard gekostet hatte. Sie wollte zeigen, dass man ein Mädchen aus der Zivilisation herausholen konnte, ohne dass es seine Zivilisiertheit verlor.
Darum hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, eine Dinnerparty für einige der Damen aus Laplace zu geben. Dann wurde ihr klar, dass es dafür gewaltiger Vorbereitungen bedurfte. Durfte sie es wirklich wagen, ihre Freundinnen einzuladen, ihre gemütlichen Häuser zu verlassen, um hier auf dem dreckigen Boden eines zugigen Lochs im Felsen zu hocken, zwischen toten Fledermäusen und Eidechsen? Nein, das durfte sie nicht. Konnte sie wirklich erwarten, dass ihre Freundinnen hochgeistige Gespräche führten, während sie verbrannte Fleischfetzen aßen, die aus dem Kadaver eines großen Tieres herausgerissen waren? Und wieder: Nein, das konnte sie nicht erwarten.
Deshalb hatte sie dafür gesorgt, dass die Höhle völlig umgestaltet wurde und hatte tagelang gearbeitet, um eines der besten Festmahle zuzubereiten, das die Verlorene Wüste je gesehen hatte. Wenn es fertig war, brauchte sie nur noch ganz nebenbei die Damen zu einem gemütlichen Essen und einem Plauderstündchen einzuladen und so zu tun, als hätte sie schon immer so gelebt, und dann würden sie aufhören zu kichern.
Aber Divina hatte nicht damit gerechnet, dass Urgum und die Jungs nach Hause kommen würden. Offensichtlich hofften sie auch, bald etwas Essbares zu bekommen. Und es gab keinen Zweifel, was die Damen von den Tischmanieren, nicht zu reden von ihren Rülpswettbewerben, halten würden. Doch es kam noch schlimmer. Die Damen würden genau dann ankommen, wenn Divina versuchte, Urgum sanft beizubringen, was sie seiner geliebten Höhle angetan hatte. Da wäre mehr nötig als ein strenger Blick und eine erhobene Augenbraue, um ihn danach unter Kontrolle zu halten. Und darum stand Divina in ihrer neuen Küche, bereitete ein gewaltiges Abendessen vor und fühlte sich äußerst unwohl.
Der neue Nachbar
I n der Zwischenzeit langte Urgum auf der anderen Seite des Talkessels von Golgarth nach seiner Axt, um erneut zu versuchen, seinen besten Freund umzubringen, als eine große rothaarige Frau in Kampfrüstung durch den Klufteingang galoppierte. Sie trug einen Bogen und hatte einen Köcher voller Pfeile um den Rücken geschlungen.
»Wow!«, sagte Urgum aufgeregt. »Ein Überfall. Komm, die holen wir uns!«
»Nein!« Mungoid wischte schnell seine große Nase an seinem Ärmel ab und zog seine Weste zurecht. »Beruhige dich und schau zu. Gleich kannst du was lernen.«
Als sie vom Pferd sprang, zog die Frau einen dünnen Pfeil aus dem Köcher und feuerte ihn ab, ehe ihre Füße den Boden berührten.
Der Pfeil traf einen Felsen, prallte ab und flog zwischen den Beinen eines verstörten Straußes durch …
Der Pfeil wurde vom Panzer einer Schildkröte abgelenkt und flog direkt zwischen Urgums und Mungoids staunenden Gesichtern
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