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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Maschinen
     draußen waren. Zwischen Pappen, Pinseln, Blechen, Spraydosen und verschimmelten Speiseresten die Programmhefte eines hiesigen
     Theaters: »Kurze Komödie vom Überleben«.
    »Auch sogenannte Künstler sind manchmal Schweine«, sagt die Spinnerin. Danach schweigt sie lange. Das Warnschild: »Klimatisierter
     Raum! Tür schließen!« Dahinter ihre Spinnerei. Sie zuckt nicht wie ich zusammen, als Tauben aufflattern. »Die waren schon
     früher hier. Zum Subbotnik [freiwilliger Arbeitseinsatz am Sonnabend, L. S.] haben wir den Taubenmist immer aus den Fenstern
     gekratzt.« Doch tote Tauben wie jetzt hätten hier natürlich nie herumgelegen. Ihr Meisterzimmer ist leer. Schöne Aussicht
     auf die Elster. »Manchmal haben wir unten die Ratten beobachtet.«
    Dann zeigt sie mir den großen Pausenraum. An der Wand noch die Spirale des zerschlagenen Wasserkochers, vom Fünf-Meter-Blumenfenster
     nur vertrocknete Blätter. Sie flieht zur Mitte der leeren Halle, rennt an einer imaginären Maschine entlang, prüft den Fadenlauf,
     zeigt mir, wie man die rasenden Spindeln mit der Kniebremse stoppt, wenn der Faden gerissen ist. »Am meisten rissendie 20:80-Partien – 20 Prozent Baumwolle und 80 Prozent Poly oder umgekehrt, ich weiß es schon nicht mehr. Also das Garn für
     die NVA-Uniformen.« Laut geworden sei sie wegen der Fadenrisse nie. »Aber wenn eine Kollegin die Maschine nicht ordentlich
     putzte – ich hatte einen Putzfimmel –, schrie ich schon mal. Die Kolleginnen würden heute grinsen, wenn sie wüssten, dass
     ich jeden Morgen für paar Stunden zu Karstadt fahre und im Kaufhaus saubermache.« Die Rente reiche nicht für Miete, Strom,
     Kleidung und Essen. Von acht Kolleginnen, mit denen sie sich regelmäßig noch zum Kaffee trifft, hätte nur die jüngste Meisterin
     wieder eine Anstellung gefunden. »Sie reinigt auf dem Bahnhof die Waggons.«
    Ruth Falke geht zu den Fenstern mit den Saugrüsseln. »Das sind die Lüfter der Klimaanlagen, die fast nie funktionierten.«
     Ich merke, dass sie genug hat, wieder rauswill. In einem Schrank findet sie eine kleine runde Batterie. Sie lächelt, sagt,
     als wolle sie sich ablenken: »Meine Uhr zu Hause steht«, und steckt die Batterie ein. »Das Erste, was ich aus dem Betrieb
     mitnehme. Und das Letzte.« Sie verabschiedet sich. Muss zum Arzt. Kaputter Rücken und chronische Sehnenscheidenentzündung.
     Wie viele aus der Spinnerei.
    Am späten Nachmittag klingle ich beim ehemaligen Technischen Direktor, Karl Heinz Mißler. Er wohnt am Südeingang, nur durch
     den Fluss vom Betrieb getrennt. Die Wohnung steht voller Kisten. Umzug. Auf den Tag genau nach 40 Jahren (die Zeit, als er
     in Ceylon eine Spinnerei aufbaute, eingerechnet) zieht er aus. Nein, in keine der neuen Plagwitzer Wohnungen, sondern nachRückmarsdorf. »Weg von Plagwitz, in dem die alten weltbekannten Firmen, die Landmaschinenwerke von Rudolf Sack, die Produktion
     von ›Mey & Edlich‹ an der Nonnenstraße und all die anderen der Gründerzeit sterben.« Er führt mich in sein Schlafzimmer, öffnet
     das Fenster. Den Anblick kenne ich: Efeu und Moos, bröckelnde Wände, zerschlagene Fensteraugen. »Ich habe nachts im Schlaf
     gehört, wenn eine Spinnmaschine kaputt war oder die Wasseraufbereitungsanlage nicht rund lief. Da bin ich aufgestanden und
     hinüber in den Betrieb gegangen. Jahrzehntelang. Und nun soll ich bis zum Lebensende mit ansehen müssen, wie alles verrottet?
     Lieber zieh ich weg. Ich will endlich frühmorgens wieder das Fenster aufmachen können.«
    In der Dunkelheit laufe ich noch einmal am Fluss entlang. Kein Licht brennt im Schloss. An der Brücke ein Menschenauflauf.
     Junge Leute verladen Kisten auf einen LKW. In den Kisten flattern aufgeregt große weiße Schwäne. »Wir bringen sie vor dem
     Winter in ein festes Haus.« – Damit sie nicht erfrieren, die Schwäne aus der Elsteraue.

Die Kalikarawane
    Als alle im Bus sitzen, nimmt der schnauzbärtige beschlipste Fahrer das Mikrofon und hält die erste Rede dieses Freitags.
     »Liebe Reisegäste, ich heiße Albrecht Hahnemann und begrüße Sie recht herzlich zu unserer Fahrt nach Bonn … Bei euch geht
     es heute ja um sehr viel, um eure Arbeit … Unterwegs werden Sie durch eine wunderschöne Landschaft fahren … Und viele von
     euch sind schon in meinem Alter, wo es schwer ist, eine neue Arbeit zu finden … Ich wünsche Ihnen und mir eine angenehme Reise
     … Und natürlich habe ich für euch reichlich Bier und auch

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