Urlaub fuer rote Engel
Arbeitsplätze
bekundeten und danach gelobten, »dass wir genau wie ihr mutig die Arbeitsplätze für Teutsche und gegen das Ausländer-Gesocks
verteidigen werden!«. Es sei einfach gewesen, sie auf Bergmannsart rauszuschmeißen. Bei einem hiesigen Kommunalpolitiker,
der sie aufforderte, den Hungerstreik zu beenden, weil sonst der Kreis bei der Verteilung von Landesgeldern benachteiligt
würde, sei die Kumpelmethode natürlich nicht anwendbar gewesen. Ihn hätten fünf Leute in die Mitte genommen und wären, die
Hände in den Hosentaschen, mit ihm bis zu seinem Auto »gegangen«. Bei Ministern hätte man sich noch andere Ablehnungen ausdenken
müssen. Obwohl mit Wirtschaftsminister Bohn fast ein Malheur passiert wäre. Er sei in die Grube eingefahren. Und als die Frauen,
die die Grube besetzt halten, den Herrn erst einmal unten hatten, wollten sie ihn so lange unten behalten, bis der Stilllegungsbeschluss
zurückgenommen sei. Da wäre der Minister im Gesicht so weiß wie das Kali geworden … Also wenn Leute in seiner Position Zeug
reden würden, mit dem man nicht einverstanden sei, würden alle Kumpels zehn oder zwanzig Schritt zurückgehen und sich umdrehen.
Er könne dann nur zu ihren Rücken sprechen oder aufhören. Das hätten sie auch bei einem der Spartakisten getan, als er bei
derKundgebung zum Aktionstag zum Kampf für die Weltrevolution aufrufen wollte.
Ich lese von meinen Erlebnissen bei der Hochseefischerei, als beim Staatsbesuch in Rostock-Marienehe ein Schiff nur von der
Landseite aus gestrichen wurde. Und von meiner letzten Reise in die Sowjetunion, bei der ich in Saratow mit dem Präsidenten
der Gesellschaft zum Kampf gegen Alkoholismus drei Flaschen Wodka vernichtete. Ehrliches Lachen und nicht nur Höflichkeitsbeifall.
Der Bann ist gebrochen. Frau Demme, eine der hungerstreikenden Frauen, erzählt mir, dass sie viele alte Eichsfelder Rezepte
aufgeschrieben hat. Ein Westverlag möchte sie in einem Buch veröffentlichen. Zusammen mit den Rezepten von zwei anderen Eichsfelderinnen.
Allerdings kein Wort von Honorar, lediglich ein Freiexemplar. Nun werde sie mit den zwei Frauen wegen der Honorierung reden.
Sie müssten sich erst selber einig sein. Das hätte sie hier gelernt.
»Bis morgen früh«, verabschieden sie sich, »bis morgen früh zum Gottesdienst. Du kommst doch?« Ich nicke und gehe mit Lothar
in die Bergmannsgaststätte. Viele der Hungerstreikenden hätten am Anfang immer wieder gefragt, ob Hungern nicht gegen Gottes
Wille verstoße, erzählt Lothar. Aber nun sehe man es als eine Art Fasten in Gottes Namen.
Lothar ist seit vier Wochen hier, er kennt die Speisekarte der Gaststätte auswendig. Er hat auch miterlebt, wie sich die politische
Meinung in Bischofferode veränderte. »1990 haben über 91 Prozent im Dorf für Kohl und seine CDU gestimmt. Und Gysi musste
sich bei einem seiner Auftritte im Eichsfeld zum ersten Mal durchdie Hintertür einer Kneipe vor einer lynchbereiten Menge in Sicherheit bringen. Als er jetzt in einer Bischofferöder Kneipe
Abendbrot aß und gerade gehen wollte, sagte der Wirt: ›Herr Gysi, Sie können doch jetzt nicht schon gehen, ich habe gerade
eine Saalrunde vorbereitet, damit Sie noch bleiben und wir Sie fragen können.‹«
Und die Spartakisten? Ja, die wären 14 Tage hier gewesen, hätten Tag und Nacht agitiert genau wie die Zeugen Jehovas, aber
die Kumpels hätten weder sich selbst noch ihre Sache von den Spartakisten oder von anderen Gruppen benutzen lassen. Überhaupt
sei der Protest in Bischofferode eine Angelegenheit, die nicht mit der Axt und der Brechstange ausgetragen werde. Die Kumpels
würden mit feiner Klinge fechten. Beispielsweise wären sie zum Wolfgangsee gefahren und hätten Kohls Urlaubswanderwege neu
beschildert, das heißt ordentliche Wegweiser aufgestellt. »Und auf jedem steht, gleich in welche Richtung er weist, nur ein
Ort: Bischofferode.«
Draußen auf der Halde brennen hohe Feuer. Und auf der Straße ziehen die Kinder mit Lampions entlang. Irgendwoher quäkt aus
einem Lautsprecher die schrecklichste Mundharmonika »Spiel mir das Lied vom Tod«.
Für die Kinder, sagt Lothar, sei es am schlimmsten: vielleicht noch nicht heute, aber später in dieser verödeten Gegend leben
zu müssen. Oder auswandern. Im Moment würden sich sehr viele solidarisch um die Kinder bemühen. Zum Beispiel hat ein berühmter
farbiger Bundesligaspieler (ich habe den Namen vergessen, weil ich
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