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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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kein Fußballfan bin) 11 Bischofferöder Jungen für 14 Tage
     kostenlos in sein Fußball-Camp eingeladen.
    Nach drei Bier bin ich müde. Ich gehe in mein Quartier.Gegenüber, im Haus der Aussiedler, brennt in allen Zimmern noch Licht.
    Am Morgen scheint nach wochenlangem Himmelsgrau die Sonne. Und die Aussiedler tun das, was sie am Sonntagmorgen auch zu Hause
     getan haben. Sie spazieren vor dem Haus hin und her, ein paar rennen um den Block, andere kehren den Eingang. Einer kramt
     im Schutt, hat eine alte Benzinpumpe gefunden und versucht, sie zu säubern. Er stamme aus einem Dorf bei Kamyschin, von Beruf
     sei er Traktorist, erzählt er mir. Niemand hätte ihm zu Hause gesagt, dass die Menschen hier keine Arbeit haben. Trotzdem
     sei er nicht schockiert. Er, der einfache Traktorist Anatoli, bekäme hier das viele Geld, mit Frau und Töchterchen zusammen
     über 1.500 DM im Monat. Davon könne er zu Hause ein ganzes Jahr lang ohne Sorgen leben … Nach einer Bedenkpause und der glücklichen
     Erkenntnis, dass die Benzinpumpe noch funktioniert, sagt der Wolgadeutsche: »Aber wahrscheinlich wird nach einem Jahr die
     erste große Freude über das Geld und die Sachen, die man dafür kaufen kann, vorbei sein. Wenn ich dann noch wählen könnte,
     entweder hier zu leben, ohne Arbeit, aber mit viel Geld, oder zu Hause mit Arbeit und wenig Geld, ich wüsste nicht, was ich
     tun würde. Denn ich bin hierhergekommen, um zu arbeiten. Nicht, um den Deutschen auf der Tasche zu liegen. Ich bin noch nicht
     einmal 50 Jahre alt.«
    Vor dem Tor zur Grube wehen heute noch mehr Fahnen, spannen Leute neue Spruchbänder, und Frauen in Sonntagskostümen verteilen
     Texte und Noten. Kirchenlieder. »Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit,brich in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann. Erbarm dich, Herr. Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit
     …«
    Und im Zimmer des Streikkomitees ein reichgedeckter Tisch. Jeder hat was mitgebracht, und wer von den Kollegen gerade Zeit
     hat, wäscht sich die Tasse und den Teller des Vorgängers unter kaltem Wasser ab. Selbstgemachte Rot- und Leberwurst. Und Knackwurst,
     ordentlich abgehangen. Und Tomaten aus dem eigenen Garten und Eier vom Bauernhof. Die Wurst hat einer vom Betriebsrat spendiert.
     Es käme darauf an, dass man das Gehackte noch warm zu Wurst verarbeite, nicht erst kalt werden lasse. Er zählt Gewürze auf
     und wie viel Rind er zur Knackwurst nimmt, und danach fragt er, ob schon jemand weiß, wann die Arbeiter aus Südbelgien zurückfahren
     …
    Die provisorische Tisch-Kanzel ist vor der Tür zur Kantine aufgebaut. Blumen auf der Treppe darunter. Vor der Tür die Geistlichen:
     eine Frau und zwei Männer. Im Betriebshof stehen die Gläubigen mit den Ungläubigen vereint. Die Betriebsleitung hat zwar verboten,
     den Gottesdienst auf dem Werksgelände abzuhalten, aber die Kumpels stören sich nicht an diesem Verbot. Die Hungerstreikenden
     sitzen neben den Geistlichen. Andächtige Stille. Nur die klickenden Kameras und die surrenden Aufnahmegeräte stören. Die Journalisten
     haben sich zwischen »Kanzel« und Gläubige gedrängt und knien und liegen und klettern auf Bierkästen, um Betende und deren
     zum Himmel gereckte Hände in Großaufnahme aufs Bild zu bekommen. Wir singen alle Strophen von »Sonne der Gerechtigkeit«. Danach
     die Sprüche und diePredigt. Pfarrer Schwenn aus Walldorf bei Frankfurt am Main: »Ich will Ihnen nicht sagen, welche Beschimpfungen meine Kirchenobrigkeit
     für mein Vorhaben hatte, hier zu sprechen.« Die Sätze, die er und die Pfarrerin den Gläubigen auf den Weg geben, verwirren
     mich: »Dem Götzen Wettbewerbsfähigkeit sollen wieder Menschen geopfert werden … Lasset uns Gutes tun an den Opfern, damit
     ihre Opferer um so friedlicher und ruhiger schlafen können … Sie können nicht an die Quelle der Kraft reichen, die verderbten
     Mächtigen da oben in Industrie und Politik, weil sie keine wirklich Lebenden sind, aber nun wissen sie, dass wir stark sind
     …« Worte, die hier die Gewerkschaftsvertreter den Kumpels hätten sagen sollen, denke ich. Die Kirche anstelle der Gewerkschaft!
     Und die Gewerkschaft? Einer der Hungerstreikenden von der »Kanzel«: »Der Gewerkschaftsboss Berger kann nicht für uns sein.«
     Und er zählt die Aktiengesellschaften und Verbände auf, in denen Berger Mitglied des Aufsichtsrates oder Mitglied des Vorstandes
     ist. Insgesamt 15 Posten. Buhrufe beim Gottesdienst.
    Dann

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