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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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›Belojannisse‹, wie man uns nun spöttisch in Erfurt nannte, hatten wir offiziell den Schlussstrich unter die Topf-Geschichte
     gezogen. Und unsere Ingenieure Prüfer und Schultze und der ehemalige Betriebsleiter Gustav Braun saßen, wegen Kriegsverbrechen
     zu je 25 Jahren verurteilt, schon in sowjetischen Lagern.«
    Ich frage, ob dieser Gustav Braun mit dem jetzigen Geschäftsführer Udo Braun verwandt sei.
    »Das war der Vater von Udo Braun. Der Udo kam 1950, zwei Jahre nach mir, als Lehrling in den Betrieb.«
    Der heute 59-jährige Udo Braun schenkt mir wenig später Kaffee aus einer Thermoskanne ein und entschuldigt sich für den nächtlichen
     Gesprächstermin. Tagsüber müsse er jede Minute für den Betrieb nutzen. »75 von früher 700 Beschäftigten arbeiten noch hier.
     Zusammen mit drei Westdeutschen bin ich Gesellschafter des Betriebes geworden. Habe all mein privates Vermögen verbürgt …«
    Das interessiert mich im Moment weniger als die Öfen. Ich frage nach seinem Vater.
    »Viel weiß ich auch nicht. Als der Vater verhaftet wurde, war ich 9 Jahre alt. Und nach Vaters Entlassung im Jahre 1955 sind
     die Eltern sofort in die BRD umgesiedelt. Drei Jahre später starb der Vater. In seinem Tagebuch habe ich nur eine Eintragung
     über die Zeit während und nach dem Krieg gefunden: ›1946 bis 1955 Luftveränderung – Sowjetunion.‹« Udo Braun berichtet darüber
     nicht zögerlich und leise, sondern schnell und bestimmt.
    »Ich klaute als Kind alles, was nicht niet- und nagelfest war. Tauschte Kohlen gegen Brot und Schrauben gegen Kartoffeln.
     So überlebten die Mutter, mein kleiner Bruder und ich. Das heißt körperlich. Seelisch war es schwerer. Da galt man eben als
     einer, dessen Vater sitzt! Trotzdem begann ich die Lehre hier im Betrieb. Einige geiferten: Das ist der Bengel von dem Kriegsverbrecher!
     Andere Kollegen klopften mir auf die Schulter und sagten, ich solle nichts auf den Vater kommen lassen, der sei kein schlechter
     Mensch gewesen … Aber niemals werde ich den Tag vergessen, an dem ich zum ersten Mal die Öfen in Buchenwald sah. Die Bustüren
     wurden hinter uns verschlossen, damit niemand einsteigen konnte, bevor er alles gesehen hatte. Ich stand wie erschlagen im
     Krematoriumsraum. Bildete mir ein, dass die Öfen noch warm wären. Roch den widerlichen Rauch der verbrannten Leichen. Aber
     instinktiv und unausgesprochen legte ich tief in mir trotzdem eine Schutzhülle um das Bild des Vaters.
    Als ich ausgelernt hatte, ging ich zur Wismut ins Uran-Bergwerk. Dort erfuhr ich von der Entlassung des Vaters. Wollte sofort
     nach Hause. Meldete mich beim sowjetischen Schachtleiter und erzählte ihm alles. Dasvon den Öfen, vom Lager und von der Heimkehr. Und da sagte der: ›Wissen Sie, Herr Braun, mein Vater und meine Mutter sind
     von den Deutschen umgebracht worden.‹ Und dann fragte er: ›Sie lieben die Sowjetunion wahrscheinlich nicht, denn schließlich
     musste Ihr Vater dort 10 Jahre im Lager verbringen?‹ Ich habe allen Mut zusammengenommen und geantwortet: ›Nein, ich liebe
     sie nicht.‹ Da nickte er und meinte, es wäre widernatürlich, wenn ich anders denken würde. Aber es sollte irgendwann Schluss
     sein mit dem Hass. Und er entschied stehenden Fußes, dass ich sofort nach Hause dürfe, besorgte mir eine Fahrkarte und bepackte
     mich mit Lebensmitteln … Nach diesem Erlebnis bin ich in die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft eingetreten.«
    Ich frage Udo Braun, was er heute über die Topf-Verantwortlichen für die Verbrennungsöfen und die Be- und Entlüftung in den
     Gaskammern denkt.
    Nun überlegt der Geschäftsführer doch sehr lange und antwortet zögerlich: »Ich müsste sie mit meinem heutigen Wissen verurteilen.
     Aber ich weiß inzwischen auch, wie anfällig der Mensch für Böses ist und wie oberflächlich seine Moralprinzipien, seine Kultivierung
     sind. Nehmen Sie als Beispiel die Geschichte mit den angolanischen Arbeitern in unserem Betrieb. Bis 1989 waren sie unsere
     Freunde und Klassenbrüder. Aber schon 1990 hat man sie gejagt! Hier in diesem Betrieb! Die gleichen Leute haben sie gejagt,
     die zuvor mit ihnen bei sozialistischen Brigadefeiern auf die ewige Freundschaft angestoßen hatten.«
    Vor ungefähr einem Jahr, erzählt der Geschäftsführer, sei Frau Dagmar Topf, die 50-jährige Schwiegertochtervon Ernst Wolfgang Topf, aus dem Westen kommend, plötzlich im Betrieb aufgetaucht. »Die Dame will für die in aller Welt

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