Urlaub fuer rote Engel
verstreute
Topf-Familie das angebliche Erbe zurückholen. Den Betrieb. Und die Topf-Villa samt 20.000 Quadratmetern Park. Millionenwerte.«
Rechtlich ständen die Chancen für die Topf-Erben wegen der Enteignung als Kriegsgewinnler-Firma sehr schlecht. Und moralisch?
»Seitdem ich beispielsweise begriffen habe, dass wir zum Überleben unseres Betriebes so viel Geld wie möglich und egal woher
auftreiben müssen, denke ich über Geld und Moral getrennt nach.« Das hätte er in dieser Gesellschaft als Gesellschafter zuerst
lernen müssen. Doch was die Moral beträfe, es gäbe in der Familie Topf einen Journalisten, der die Erbansprüche aus moralischen
Gründen ablehnen würde …
Ich treffe den 61-jährigen Hartmut Topf im RIAS-Funkhaus, und er zeigt mir einen Brief, den er vor vier Wochen als ersten
Rundbrief seines Lebens verschickt hat. »Liebe Cousinen, liebe Cousins und Familien … Diejenigen Nachfahren des Großonkels,
die sich in die Geschäfte mit den Nazis verwickelten und dabei viel Geld verdienten, sind alle tot … Ich finde, hier sollten
keine nachgeborenen oder in die Familie eingeheirateten Personen Ansprüche anmelden … Wenn überhaupt Geld aus der Immobilie
flüssiggemacht werden kann, sollte es der Wiedergutmachung dienen, sollte zur Versorgung und Therapie von Opfern mit Spätfolgen
der Verfolgung und des Lagerterrors verwendet werden …«
Nach einem Monat hat noch niemand auf seinen Brief geantwortet.
Trotz der Kälte im Krematoriumsraum hatten einige der jungen Leute ihre bunten Anorakkapuzen wieder heruntergestreift. Standen
barhäuptig vor den Öfen, zwischen denen Kerzen brannten, Blumen welkten und Steine der Juden aus Israel lagen. Der Mann im
langen schwarzen Mantel erzählte, dass ein Sinti eine Zigarette angezündet und sie schweigend in einen der Verbrennungsöfen
gelegt hätte. »Und Elie Wiesel, der Nobelpreisträger, fragte hier, wo die Spuren der Verbrannten zu finden sind. Und er zeigte
hinauf zum Himmel … Es gibt aber auch noch andere Spuren. Die Asche, als Dünger auf den Äckern rings um das Lager verstreut
…«
Damit ließ er die jungen Leute allein.
Auf dem Parkplatz vor dem Lager standen die ersten Busse und Besucherautos. Daneben zwei Streifenwagen der Polizei. Aus dem
dritten stieg eine junge Polizistin mit Kakaoflasche in der einen und Brötchentüte in der anderen Hand. Seitdem im vergangenen
Jahr die jugendlichen Neonazis in Buchenwald aufmarschiert wären, hätte das Innenministerium hier eine ständig besetzte Polizeistation
eingerichtet.
Die flache Baracke mit der neuen Türaufschrift POLIZEI wurde erst kurz vor der Befreiung von den Häftlingen gebaut und sollte
der SS als Büroraum dienen …
Ein Gebirge wird verkauft oder: »Das Lied können Sie heute getrost wieder anstimmen«
Den deutschen Ortsnamen für Pec pod Sněžkou kannte ich viele Jahre lang ebenso wenig wie den von Jelenia Góra oder Liberec,
denn der Geographielehrer hatte in der Schule nie von Hirschberg und Reichenberg gesprochen. Wer Städte in Polen oder der
Tschechoslowakei bei ihren alten deutschen Namen nannte, war ein »westdeutscher Revanchist«. Lediglich Auschwitz hieß in DDR-Schulbüchern
immer Auschwitz …
Dank des 1992 in Würzburg erschienenen Reiseführers »Riesengebirge« weiß ich, dass Pec pod Sněžkou früher Petzer hieß, eines
der kleinsten Städtchen von Tschechien ist und im Riesengebirge (Krkonoše) am Fuße der Schneekoppe (Sněžka) liegt.
Ich komme erst nachts aus dem frühlingshaften Flachland in Pec an, staune über den hohen Schnee und erschrecke vor Tausenden
von Autos auf überfüllten Parkplätzen. Im kalten Lampenlicht entziffere ich die Kennzeichen: Cottbus. Schwerin. Erfurt. Dresden
… Über die Hälfte aus den neuen Bundesländern. Dazu einige Tschechen, Polen und vereinzelt auch Autos aus Westdeutschland.
Bevor mich eine Schneeraupe zur Übernachtung in die 1.000 Meter hoch gelegene Baude »Bílá Labut’« (Weißer Schwan) kutschiert,
wärme ich mich in der Baracke des alten Parkwärters auf. Wattejacke und grüne Wollmütze und ein Gesicht wie daseiner holzgeschnitzten Rübezahlfigur. In gebrochenem Deutsch erzählt er, dass hier bis zum Mai Schnee liegen würde und dass
Petzer 560 Einwohner zählt. Und 10.000 Touristen.
»Deutsche?«
»Ja, jetzt immer mehr von Deitschland.«
Ich frage, ob er ein Sudetendeutscher sei.
Er schüttelt den Kopf. In Petzer würde nur noch ein
Weitere Kostenlose Bücher