Urlaub fuer rote Engel
Mann hinter mir stand. Es war mir sehr peinlich.
Doch der Mann grinste nur, klopfte mir auf die Schulter und sagte: »Ich kenne einen Steuerberater, der bestätigt Ihnen für
mickrige 250 DM jedes gewünschte monatliche Einkommen. Und den Schein legen Sie dann der Behörde vor …«
Sascha wird, wenn er ein Visum erhält, nun doch im Sommer mit Töchterchen Lena und Frau Alja zu uns kommen.
Und so wie ich ihn kenne, wird er zur Begrüßung den ersten Toast auf das große Volk der kulturvollen Deutschen, auf das Volk
der Humanisten Goethe und Schiller trinken. Und ich werde ihn umarmen und das Glas nach alter russischer Sitte auf einen Zug
leeren.
Die Erben der Öfen oder: »Das ist der Bengel von dem Kriegsverbrecher!«
Auch im Krematorium, in dem die zwei dreimäuligen Verbrennungsöfen stehen, war es an diesem Februarmorgen hundekalt, und die
jugendlichen Besucher des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald zogen ihre bunten Anorakkapuzen über den Kopf. Der »Museumsführer«,
ein wohl über zwei Meter großer Mann, der in seinem bis zur Erde reichenden schwarzen Mantel einem Prediger ähnelte, erklärte
die Öfen.
»Was Sie hier sehen, das sind noch die Originalöfen der Firma Topf. Ähnliche Modelle errichtete die Firma unter Leitung des
Ingenieurs Kurt Prüfer auch in Auschwitz, Dachau und Mauthausen. Die Parameter des Dreimuffelofens, damals technologischer
Höchststand, garantierten die Einäscherung von rund 300 Menschen in 24 Stunden. Damit die ausgemergelten Häftlingsleichen
besser brannten, 70 Prozent hatten weniger als 50 Kilo Körpergewicht, wurde Öl aus diesem Tank – ebenfalls ein Topf-Patent
– zugesetzt. Und um Brennmaterial zu sparen, sollten die Krematoriumshäftlinge möglichst eine noch gut genährte männliche
Leiche zusammen mit der einer abgemagerten Frau oder der eines Kindes in den Ofen schmeißen. Die Firma Topf, hier an den gusseisernen
Verschlussdeckeln erkennen Sie deutlich das Markenzeichen, hatte ihren Sitz in Erfurt …«
Ich fragte den Mann im langen schwarzen Mantel, ob der Betrieb noch existiert. Er nickte. Nach dem Krieg hätte sich Ludwig
Topf, einer der Besitzer, erhängt. »SeinBruder, Ernst Wolfgang Topf, flüchtete, noch bevor ihn die Sowjets verhaften konnten, nach Westdeutschland. Dort erhielt er
als angeblich zu Unrecht enteigneter Unternehmer eine neue Gewerbeeintragung im Handelsregister, und 1950 ließ er durch seinen
Ingenieur Klettner ein Topf-Patent mit dem Titel ›Verfahren und Vorrichtung zur Verbrennung von Leichen, Kadavern und Teilen
davon‹ anmelden. 1963 löste er die Firma auf. Der Erfurter Betrieb, inzwischen in ›Erfurter Mälzerei und Speicherbau-EMS‹
umbenannt, produziert an alter Stelle Speichersilos, Tanks und Mälzereiausrüstungen.«
Udo Braun, der Geschäftsführer von EBM, bestellt mich nach 21 Uhr in sein Büro. Tagsüber hätte er keine Zeit für Gespräche
über die Vergangenheit. Das alte Verwaltungsgebäude ist hell erleuchtet, die Eingangstür steht offen, aber innen ist alles
kafkahaft still. Die Büros sind verschlossen. Auch das von Braun. Endlich ein Husten im Erdgeschoss. Ein älterer Weißbekittelter,
dem die wenigen Haarsträhnen wirr ins Gesicht hängen, läuft zu dieser Nachtstunde immer noch zwischen Reißbrett, Computer
und Zeichnungen hin und her.
Ich frage ihn, ob er schon zu Zeiten der Gebrüder Topf im Betrieb gearbeitet habe.
»Nein, erst seit 1948. Aber wir hießen damals noch Topf. Nagema Topfwerke. Später beschloss die neue Macht, den belasteten
schlechten Firmennamen durch einen guten, fortschrittlichen zu ersetzen. Und wir erhielten den Ehrennamen des gegen die Militärdiktatur
kämpfenden griechischen Kommunisten Nikos Belojannis und bildeten außerdem als internationalistische Hilfe 50 griechische
Lehrlinge bei uns aus.«
(Was der zerzauste Konstrukteur der Speicher nicht wissen konnte: Nachdem der Konstrukteur der Verbrennungsöfen, Ingenieur
Kurt Prüfer, am 4. März 1943 die fünf Dreimuffelöfen in Auschwitz II eine Woche lang trockenfeuern ließ und am 13. März Ingenieur
Karl Schultze die von ihm bei Topf entwickelte Be- und Entlüftung der Gaskammern 15 Stunden lang getestet hatte, wurden in
der darauffolgenden Nacht im ersten Großversuch 1.492 Juden aus Kraków mit Zyklon B vergast. Und wie vorgesehen in zwei Tagen
eingeäschert. Eine Woche später folgte der zweite Ofen-Test mit 2.191 Juden aus Griechenland.)
»Als die
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