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Urmels großer Flug

Urmels großer Flug

Titel: Urmels großer Flug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kruse
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da war ein
winziger Raum mit Waschbecken und Kloschüssel. Das Urmel schlüpfte hinein und
schlug den Riegel zu. Nun stand draußen »Besetzt«. Und das Urmel fühlte sich
gerettet.
    Nicht
so die andere Dame mit der Brille. Sie sauste und sauste und kreischte und
kreischte. Da kamen andere Reisende, die sie hörten, aus den Abteilen, und auch
der Schaffner kam, glücklicherweise, dem sank sie in die Arme und umklammerte
ihn und schüttelte ihn und stammelte: »In meinem Abteil... ein Gespenst... oder
ein wildes Tier!«
    »Nun
beruhigen Sie sich mal, meine Dame«, sagte der Schaffner. Und da er von Amts
wegen dazu verpflichtet war, setzte er sich zu dem Abteil hin in Bewegung. Die
Reisenden folgten ihm, von unbezähmbarer Neugierde gepeinigt. Sie fanden
freilich enttäuschenderweise ein leeres Abteil vor. »Da saß es aber«, sagte die
Dame und zeigte in die Ecke.
    »Dann
kann es ja nicht weit sein«, meinte der Schaffner.
    Man
begann also, überall nach dem wilden Tier zu suchen — mit gebotener Vorsicht
freilich — , man schaute unter den Sitzen nach und im Gepäcknetz. Und da dem
Schaffner dämmerte, er könnte es hier vielleicht mit einem ganz gerissenen blinden
Passagier zu tun haben — also mit einem Passagier, der keinen Fahrpreis
bezahlen wollte — , und weil das bevorzugte Versteck dieser Reisenden die
Toilette ist, stand er bald vor dieser Tür und fand seine Ahnung bestätigt,
weil sie verschlossen war.

    Kraft
seines Amtes und seiner Uniform fühlte er sich berechtigt, daran zu rütteln und
barsch zu fragen: »Ist hier jemand?«
    »Vorsicht,
Vorsicht!« flehte die Dame mit der Brille. »Es ist ein wildes Tier. Und
sprechen kann es auch!« Gerade die letzte Behauptung ließ die Dame mit der
Brille nicht gerade glaubwürdig erscheinen. Daher flößte sie dem Schaffner eher
Mut ein, als ihn zur Vorsicht zu mahnen. »Das scheint mir mehr ein Fall von
grobem Unfug zu sein«, brummte er. »Ich jedenfalls habe noch kein wildes Tier
erlebt, das sprechen kann und sich im Klo einriegelt.« Er rüttelte noch
kräftiger.
    Da
öffnete das Urmel die Tür gerade so weit, daß es den nilpferdähnlichen Kopf
herausstrecken konnte. Es brüllte: »Besetzt! Können Sie nicht lesen?« Dann
knallte es die Tür wieder zu. Es vermochte das leicht, weil dem Schaffner vor
Schreck der Griff aus der Hand gerutscht war.
    Da
zog ein anderer Reisender, ein sportlicher Mensch, die Notbremse, indem er
einen Hechtsprung zu ihrem Handgriff machte, über den Schaffner hinweg.
    Und
das hatte zur Folge, daß alle Reisenden samt und sonders nach vorne
geschleudert wurden und so mancher Koffer aus dem Gepäcknetz sauste.
    Die
Bremsen quietschten durchdringend. Und der Zug stand.
     

    Elftes
Kapitel

In dem das Urmel sich als Anhalter versucht und für ein Waschmittel
gehalten wird
     
    Bei diesem plötzlichen Halt
schoß auch Schusch raketenartig vom Wagendach. Er landete unsanft im Rasen neben
dem Bahndamm, sehr verwundert und benommen. Er dachte: Här äst doch kein
Bahnhof?
    In
den Waggons wurden die Fenster heruntergelassen. Die Fahrgäste steckten die
Köpfe hinaus. Doch auf der Strecke war es stockdunkel, nirgends brannte eine
Lampe. Finster war die Nacht.
    Auch
das kleine Milchglasfenster der Zugtoilette wurde herabgedrückt und die
Reisende mit der Nilpferdschnauze und dem langen grünen Kleid zwängte sich,
drängte sich, schlängelte sich mit viel Mühe ins Freie. Sie drehte sich dabei
so geschickt, daß sie sich mit ihren Krallen-Fingern am Dach festhalten und
emporziehen konnte, wo sie piepste: »Schusch, wo bist du?«
    »Da
oben hängt ihr Kleid noch herunter«, rief der Schaffner. Er hatte die Wagentür
geöffnet und war ausgestiegen, um die Umgegend mit seiner Laterne abzuleuchten.
    »Här
bän äch!« krähte Schusch.
    »Nein,
dort unten ist sie!« bedeuteten ihm die Reisenden.
    Das
Urmel machte einen Satz hinab zu Schusch. Mit ausgebreiteten Flügeln segelte es
nieder, und alle Leute in seiner Nähe, ob sie nun am Fenster standen oder
ausgestiegen waren, duckten sich unwillkürlich. Dann machten sie sich an die
Verfolgung des Ausreißers.
    Freilich,
das war vergebliche Mühe. Sie tappten nur in der Nacht herum. Denn das Urmel
und Schusch hatten sich bereits aus dem Staub gemacht, sie flogen über die
dunkle Wiese, übersprangen Bäume und segelten über schwarze Hügel und Felder.
Da waren sie für niemanden erreichbar. Und da die Suche ergebnislos abgebrochen
werden mußte, pfiff der Zugführer zum Einsteigen und zur

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