Urod - Die Quelle (German Edition)
und Jugend verbracht hatte, waren sehr streng in diesen Dingen. Nach dem frühen Tod seiner Mutter, hatte sein Vater ihn einfach dorthin abgeschoben. Angeblich natürlich nur zu seinem Besten. Doch je älter Miles wurde, desto klarer wurde ihm, dass sein Vater einfach nur ein Egoist war, der sich einen Dreck um sein einziges Kind scherte. Sein Beruf ging ihm über alles. Wenn Miles ihn in den Ferien sehen wollte, musste er fast immer in ein Camp irgendwo auf der Welt reisen, um Zeit mit seinem Vater zu verbringen. Dabei hatte er gelernt, die Archäologie und alles, was damit zu hat, zu hassen. Anfangs war ihm das gar nicht bewusst. Er sah ja ständig, wie sehr die Studenten seinen Vater bewunderten. Sie hingen an seinen Lippen, wenn er ihnen abends von seinen Abenteuern erzählten und sein immenses Wissen vor ihnen ausbreitete, das man nur noch darüber stolpern konnte. Lange Zeit dachte Miles, er hätte den tollsten Vater der Welt, mit seinem englischen Akzent und der kauzigen Angewohnheit, überall seinen Tee mit hinzuschleppen. Bei einer Stippvisite in der jordanischen Felsenstadt Petra, auf die ihn sein Vater mitgeschleppt hatte, entdeckte Miles dann, dass sein Vater nicht ein einziges Mal nach Tee verlangte. Er trank nur Kaffee. Er mochte keinen Tee. Das alles war nur Show und gehört zum Ruf des kauzigen, englischen Professors in Deutschland, der mit seiner Indiana-Jones Attitüde seine Fangemeinde verzaubern und blenden wollte. Nun, das war ihm gelungen. Sogar bei seinem eigenen Sohn. Doch nachdem Miles diese Entdeckung gemacht hatte, begann das Bild zu bröckeln, das er von seinem Vater gehabt hatte. Er begann die negativen Gefühle zuzulassen, die schon so lange in seinem Inneren schwelten und die er nie auch nur in die Nähe der Oberfläche hatte kommen lassen. Er gestand sich Stück für Stück ein, dass sein Vater nicht ein einziges Mal zu ihm gekommen war. Nicht an den Besuchertagen, nicht in den Ferien - niemals. Er hatte auch nie eine Grabung abgesagt für seinen Sohn. Und wenn er in Miles' Ferien zufällig mal frei hatte, dann zerrte er seinen Spross in einen Flieger, der sie zu einem Ort irgendwo auf der Welt brachte, wo es vor tausenden von Jahren einmal eine Kultur gegeben hatte, die Professor Harris weit mehr interessierte als sein eigen Fleisch und Blut. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass Miles seinen Vater in dem bulgarischen Camp nur deswegen besuchen wollte, um ihm zu sagen, dass Schluss war. Dass er seinen Sohn in Zukunft nur noch dann sehen würde, wenn er sich in nach ihm richtete. Ab jetzt sollte nach Miles' Regeln gespielt werden. Er wollte sich seinem Vater nicht mehr länger unterordnen. Wenn er ihm wirklich etwas bedeuten würde, dann müsste Harris zu ihm kommen. Voller Zorn war Miles an diesem Ort aufgetaucht. Zorn, den er brauchte, um die Worte aus sich herauszupressen, die seinem Vater Paroli bieten sollten. Es war nachgerade typisch, dass sein Vater sich ihm wieder einmal entzogen hatte. Wenn auch auf eine äußerst merkwürdige Art und Weise. Die Wut war geblieben. Und sie war es, die Miles nutze, als Drago ihm beibrachte, wie man kämpfte, wie man eine Axt hielt, ohne sich selbst zu verletzen und dass es im Grunde am wichtigsten war, dass man bereit war, zu töten. Nur darauf kam es an. Zum Glück, denn physisch hatte Miles einfach nicht die Voraussetzungen, die es brauchte, um gegen übermächtige Gegner anzukommen. Er war dünn und feingliedrig. Und doch hatte er in der Zeit, die er nun unter Dragos Fittiche verbrachte, eine Kraft gewonnen, die offenbar wenig mit seiner Muskulatur zu hatte. Etwas war gewachsen in ihm, war erstarkt. Er war selber darüber erstaunt gewesen, welch unbändige Willenskraft in ihm steckte. Eisern war sein Wille. Und er war viel zäher als er sich das jemals hätte erträumen können. Ihm gefiel dieser neue Miles. Er fühlte sich, trotz der Gefahr, die ihn umgab, sich selbst näher als all die Jahre zuvor. Er wusste, er tat das Richtige. Diese absolute Klarheit war eine Erfahrung, die alles veränderte und sein Bewusstsein vollkommen ausfüllte.
Das versuchte er nun auch den Studenten nahezubringen.
„ Es gibt zwei Dinge, die ihr unbedingt beherzigen müsst: Entfernt niemals, wirklich nie eure Ohrenpfropfen. Egal, wie groß die Versuchung ist, und ich weiß, dass sie groß ist, ihr müsst widerstehen. Andernfalls werdet ihr diesen Ort nicht wieder verlassen. Und zweitens – wenn ihr einen Urod seht, dann tötet ihn. Sofort und ohne zu
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