Urod - Die Quelle (German Edition)
dass sie die ganze Situation, in der sie steckten, gestern noch völlig lachhaft gefunden hätten. Und jetzt war sie bittere Realität geworden. Sie mussten sich bewaffnen und vielleicht sogar Lea töten, die dabei war, sich in ein Monster zu verwandeln, das sie fressen wollte, oder Schlimmeres. Sie hatten keinerlei Orientierung mehr, keine Erfahrung, die sie bereits in ihrem Leben gemacht hatten, und die sie auf eine solche Situation auch nur annähernd vorbereitet hätte. Sie wankten in einem nebelhaften Nichts. Das Undenkbare war nun ihre Realität und sie konnten auf nichts mehr vertrauen, das sie wussten oder kannten.
„ Wir behalten Drago im Auge. Er hat Miles bis jetzt nicht angerührt und scheint genau wie wir daran interessiert, dieses Ding zu vernichten. Aber er hat selbst gesagt, dass seine Entwicklung fortschreitet und er nicht genau weiß, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Ein weiterer Grund, die Sache so schnell wie möglich hinter uns zu bringen. Und das schaffen wir nur, wenn wir alle an einem Strang ziehen“, sagte Thomas und sah dabei Sebastian an. „Die einzigen, denen wir wirklich vertrauen können, sind wir selbst."
„ Ist ja gut. Ich bin dabei. Keine Panik!“
Der Urod glitt den Felsenmassiv entlang. Für seine empfindlichen Ohren hörte sich der kräftige Regenschauer an als feuerte jemand direkt neben seinem Gehörgang Knallfrösche ab. Aber er musste weiter. Der Geruch des Essens ließ ihm keine Ruhe und trieb ihn zur Eile an. Er war inzwischen der schwächste in der Gruppe und er wusste instinktiv, wenn er es nicht schaffte, bald etwas zu essen zu bekommen und dadurch Kraft zu tanken, würde er von den anderen getötet und seinerseits verspeist. Er empfand ihnen gegenüber keinen Groll deswegen. Aus seiner Sicht war diese Entwicklung absolut zwangsläufig, ja sogar vernünftig. Es diente der Erhaltung der Art. Alles andere musste sich dem unterordnen. Ohne sich umzuschauen oder Anlauf zu nehmen, sprang er über einen drei Meter breiten Spalt und bewegte sich weiter vorwärts. Er wusste nicht mal genau, wie viel Kraft inzwischen in seinem Körper steckte. Er konnte tagelang kopfüber hängen. Ohne Anstrengungen fünf Meter hohe Sprünge machen.
Er wusste, dass ihn nur noch wenige Meter von seiner proteinreichen Beute trennte. Dennoch hielt er inne. Der starke Regen konnte ihn nicht daran hindern, zu riechen, dass Menschen hier gewesen waren. Sie hatten das Fleisch angefasst. Es war kein gutes Fleisch. Kein Blut. Und eine glibberige Substanz umhüllte es. Auch der Geruch rostigen Metalls stieß ihn ab. Doch es war Nahrung. Und er konnte nicht die leiseste Spur von Menschen in der Nähe vernehmen. Das war gut. Das einzige, was ihn noch zögern ließ, war der Geruch des Eisens. Der Urod legte sich auf den Boden und kauerte einige Zeit dort wie versteinert. Direkt vor ihm befand sich alles, was er brauchte. Es verging noch eine halbe Stunde. Dann kroch er wie ein betäubter Gecko in Richtung des Fleisches. Gierig biss er hinein und schlang es ohne sie zu kauen herunter. Seine Organe hatten sich verändert und konnten jedwede Form proteinhaltiger Nahrung mit erstaunlicher Geschwindigkeit verarbeiten. Ein dumpfer Schlag auf seinen Körper ließ ihn erzittern. Seine Beine steckten ein einer Falle, deren gewaltige Kraft sie fast unter dem Knie abgetrennt hätte. Den Schmerz spürte er kaum. Auch das war eine der erstaunlichen Veränderungen seines Körpers. Mit einem kräftigen Sprung versuchte er sich aus der Falle zu befreien. Im nächsten Moment geriet er jedoch in eine zweite Falle, die nur wenige Zentimeter von seinem Kopf aufgestellt worden war. Er wand sich wild hin und her. Er wusste nun, woher der Geruch von rostigem Eisen gekommen war. Ein Geräusch ließ ihn inne halten – jemand kam auf ihn zu. Aus dem dichten silbernen Schleier des Regens kamen Urods. Natürlich. Sie hatten dasselbe gerochen wie er. Und sie hatten ebenso sein Aufbäumen vernommen. Er wusste, dass sie nicht gekommen waren, um ihn aus den Fallen zu befreien. Sie waren hier, um zu essen. Instinktiv versuchte er sich zu wehren, doch ihre kräftigen Glieder drückten ihn zu Boden. Aus der Nähe konnte er ihre Gesichter beobachten, während sie Stücke aus ihm heraus rissen und ihn bei lebendigem Leib fraßen. Nach einer Weile sah er nichts mehr. Alles versank in tiefstem Schwarz. Der Regen wurde immer schwächer und hinter den Wolkengebilden, tastete sich langsam die Sonne hervor.
Miles knallte ein
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