Uschi Zietsch
Leblosigkeit täuscht«, fuhr er fort. »Im Phantomland wimmelt es von abscheulichen Wesen und Tieren – aber es sind Geschöpfe der Zwielichtregion, der Zwischenebenen, und sie erscheinen nur nachts, wenn die Grenzen zwischen Licht und Dunkelheit verschwimmen. Neben den Phantomen gibt es ruhelose Gespenster und Irrlichter und viele Geister mit ... Haustierchen, könnte man sagen. Man darf sich von vornherein nicht beeindrucken lassen.«
»Wer sind die Phantome?«
»Kalte Geisterwesen, deren Seelen sich im Chaos verirrt haben. Sie sind sehr stark, aber bisher verhielten sie sich weitgehend friedlich. Bisher . Ich möchte Sie bitten, allen meinen Anweisungen sofort und ohne Anmerkung zu gehorchen. Ich bin für die Sicherheit der Prinzessin verantwortlich und werde jeden Widerspruch schwer bestrafen. Jedes Zögern kann Leben kosten.«
Kelric hatte mit gelassener Nüchternheit gesprochen, aber es konnte kein Zweifel an der Wahrheit seiner Worte bestehen. Die Männer starrten ihn erschrocken und mit großen Augen an, als erwarteten sie jeden Moment eine Demonstration seiner Macht.
»Lassen Sie die Leute aufsitzen«, befahl Kelric als Erstes und wandte sich an Gorwyna. »Es ist gut, dass Sie feste Reitkleidung tragen, Prinzessin. Wir haben einen scharfen Ritt vor uns. Ich möchte keinerlei Risiko eingehen und keine Stunde länger als notwendig in Phantomland bleiben.«
»Und die Wagen?«, fragte Falland.
»Ich habe die Ladung gleichmäßig verteilen lassen«, antwortete der Zauberer. »Die jeweils vorgespannten vier Wagenpferde sind stark und ausdauernd. Die Zofen sollten auf die Pferde eurer Leute aufgeteilt werden. Mit dem geeigneten Stärkungstrank werden wir so weit kommen, dass wir nur eine Nacht in Phantomland verbringen müssen. Das wird auch gut sein, denn dieser Teil wird sehr anstrengend für mich, und jede Verzögerung kostet mich unnötig Kräfte, was gefährlich werden kann.«
»Und ich?«, fragte Gorwyna.
»Sie reiten mit mir ganz vorn.«
Der Hauptmann warf ein: »Ist das nicht ... « Er verstummte jedoch, als Kelrics Blick ihn traf.
Bald darauf fegte der Trupp geschlossen in das düstere Reich hinein; sie legten innerhalb weniger Stunden eine große Strecke im schnellen Galopp zurück, und nicht nur Gorwyna, die eine geübte Reiterin war, begann leise zu stöhnen. Sie spürten alle die Macht des Zauberers, der die Rösser fest im Griff hielt, sie mit seinem Willen voranpeitschte und antrieb, damit sie weder ermüdeten, noch scheuten oder ausscherten.
Trotz der schnellen Hatz spürten sie den Eintritt in ein anderes Reich, eine fremde Zwischenregion, und ihre Sinne nahmen Eindrücke ganz anderer Art auf. Die Augen gewöhnten sich schließlich an das stetige Dämmerlicht und unterschieden einzelne Gebiete: tiefe Gruben mit großen und kleinen Höhleneingängen, Felsregionen, schwarze Moorseen. Die Ohren nahmen vielerlei unbekannte Geräusche auf, die Nase roch unbeschreibliche Dünste; der ganze Körper begann unter den unzähligen fremden, unverständlichen Eindrücken zu vibrieren.
Aber noch empfanden sie keine Furcht, denn Kelrics hohe starke Gestalt war stets vor ihnen; manchmal hob er einen Arm, der in magischem blauen Licht aufleuchtete, oder er rief ihnen beruhigende Worte zu. Die Prinzessin ritt dicht neben ihm, die Miene frei von Angst, eher beherrscht von Neugier und lebhafter Aufmerksamkeit.
Eine Stunde vor Sonnenuntergang hielt Kelric an und sprang von seinem Ross; seine Augen leuchteten wie blaue Flammen, sein Gang war federnd und elastisch, die Muskeln vibrierend angespannt. Er schien nicht die geringste Müdigkeit zu empfinden, er war im Gegenteil wohl erst richtig erwacht und lebendig geworden; die Begleiter, bisher unbedarft in ihrem Umgang mit Zauberern, erschraken über seinen Anblick. Sie konnten seine Ruhe noch fühlen, aber deutlich sahen sie jetzt das weißliche Schimmern seiner Aura, die ihn wie eine Hülle umgab, und sie spürten seine offene Macht und die große Stärke, die auf dem erleuchteten Antlitz lagen und wie kleine Blitze an den Händen zuckten.
Kelric sprach nur wenige Worte zu den Menschen, die in fieberhafter Eile seinen Anweisungen gehorchten und das Lager in rasender Geschwindigkeit aufschlugen; selbst die Prinzessin half mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte sie nie etwas anderes getan. Erst als alles nach seinem Willen geschehen war, entließ der Zauberer sie aus seinem Bann, und sie sanken, wo sie gerade standen, erschöpft und kraftlos zu
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