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Utopolis

Utopolis

Titel: Utopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Illig
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und massiger als in Wirklichkeit. Höher war er als der Mond, der wie durch ein Öhr unter der Spitze des Gebäudes hindurchschlüpfte, das ein Mantel von Blitzen umhüllte.
    Aber die Wohnburgen zu beiden Seiten der Straßen waren schmutzige Lehmhütten, elend und verkommen, wie die Katen polnischer Bergarbeiter. Von der Höhe des Turmes sahen sie wie Kindergräber aus.
    Menschen wimmelten in der Straße wie Ameisen, liefen planlos durcheinander, sehr geschäftig und sehr sinnlos.
    Da näherte sich vom Horizont her langsam eine Gestalt, die Menschen und Häuser weit überragte. Ich fühlte ihre Augen auf mir ruhen, und konnte doch ihr Gesicht nicht erkennen.
    Sie wuchs, ihr Schatten fiel über den halben Turm. Nun stand sie reglos lange vor der Mauer der knisternden Blitze und bückte mich unverwandt an.
    Als sie aber endlich die Hand hob, als wollte sie den flammenden Schleier zerreißen, begann ihr Körper weißlich zu leuchten. Funken sprühten aus ihrem Haar. Sie schloß die Augen und sank langsam vor mir in den Boden. Lag nun zu Füßen des Turms im Innern der Erde wie eine lächelnde Tote. Die Erde war durchsichtig, wie mattes Glas.
    Entsetzt, in Schweiß gebadet, fuhr ich auf. »Jana? – Jana! –« warf mir das Echo vom Gewölbe meine Schreckensschreie zurück.
    Draußen war Nacht. Blitze zerfetzten die Finsternis. Donner brach über dem Dom zusammen.
    Ich hastete hinaus, stolperte über Tote und Schlafende, wenn mir nicht fahlblaue Zucklichter über die goldenen Wände hingeisternd den Weg wiesen.
    Draußen war es gut. Die gewaltigen Himmelsentladungen schienen auch meine vergiftete Seelenatmo sphäre zu reinigen. Begierig zog ich die starke wehen de Luft ein.
    Ich wußte nun wieder, warum ich in dieser Stadt des Grauens umherirrte. Kostbare Zeit war verträumt und versäumt. Ob ich den Turm seit Stunden oder Tagen verlassen hatte, daran konnte ich mich nicht mehr erinnern. Vielleicht rüstete Joll bereits sein todbringendes Geschwader.
    Wilder Tatrausch überfiel mich. Irgendwas mußte geschehen; je toller, desto besser.
    Ich überflog noch einmal den Plan, den ich mir frü her zurechtgelegt hatte. Verrückt und aussichtslos, sag te mir die innere Stimme. Um so besser wird es gelingen, antwortete der Leichtsinn.
    In Ermangelung eines Schlosses, hatte der Kaiser das Parkhotel zu seiner Residenz gemacht. Dorthin schlug ich mich durch. Nur wenigen Menschen begegnete ich. Die Zeit der Lustbarkeiten war vorüber. Wer keinen Dienst hatte, suchte Tag und Nacht den Hunger zu verschlafen.
    Auch der Tröster Alkohol floß jetzt spärlicher. Betrunkene waren selten. Blutiger Aschermittwoch über Utopolis.
    Das Parkhotel aber schwelgte im Lichterglanz. Au tomobile warteten in Reihen vor dem Portal. Offiziere und Würdenträger strömten ein und aus, eilig, dienstbeflissen, als wären sie langjährig eingeübte Hofschranzen. So rasch lernte man das!
    Aus dem Saal klang schmachtende Ballmusik. Über die Fenster huschten Schatten von tanzenden Paaren.
    Ich wartete geduldig an der Terrasse wie ein demütiger Bittsteller. Niemand beachtete mich.
    Endlich kamen Leute, die ich suchte. Drei jüngere Männer in Offiziersuniformen stiegen plaudernd über die Freitreppe herab, gingen an den Autos vorüber und bogen in den Park ein. Das Gewitter war verrauscht. Sie wollten ihre erhitzten Köpfe in der kühlen Nachtluft ausrauchen lassen.
    Ich folgte ihnen im Schatten der Bäume. Schließlich trennten sie sich. Zwei nahmen Richtung auf die Arbeiter-Wohnburgen, von denen man die meisten zu Kasernen gemacht hatte. Einer kehrte nach dem Hotel zurück. Diesem lauerte ich auf, sprang ihn aus dem Gebüsch an. Er stürzte. Als er zur Besinnung kam, blitzte mein Revolver vor seinen Augen. Ich bedeutete ihm höflich, mit erhobenen Armen vor mir herzugehen. Meine Einladung war so überzeugend, daß er ohne einen Laut von sich zu geben, sich willig von mir lenken ließ. In einer Grotte von Jasminbüschen nahm ich ihm seine Waffen ab und befahl ihm, sich von Kopf bis zu Fuß auszuziehen. Dann band ich ihm die Hände auf den Rücken, legte ihn auf die Bank, schnürte ihn über Brust und Beinen am Holz fest, und schob ihm einen Knebel in den Mund. Menschenfreundlich deckte ich ihn mit meinen Kleidern zu. »Nur vier oder fünf Stunden strengen Arrest verhänge ich über Sie, junger Mann. Dann wird man Sie finden und befreien. Ihre Klassenkollegen in Europa stecken politische Gegner zehn Jahre ins Zuchthaus oder erschießen sie auf der Flucht …

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