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V wie Verrat

V wie Verrat

Titel: V wie Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Schwarz
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deutlich ansehen konnte, wie enttäuscht ich war. Er blieb einen Moment unschlüssig in der offenen Tür stehen, dann sagte er: »Sollen wir schnell zum Hausboot fahren?«
    Ich hätte ihn küssen können.Dankbar nickte ich, öffnete die Wohnzimmertür einen kleinen Spalt und rief hinein: »Darius und ich sehen im Hausboot nach, ich nehm das Handy mit.«
    Ehe sie reagieren konnten, hatte ich die Tür geschlossen und schob Darius schnell nach draußen. Er ließ mich gewähren und beeilte sich, den Wagen zu starten.

    Wir bogen gerade erst auf die Straße ab, als das Telefon das erste Mal klingelte. Andrew. Unentschlossen starrte ich es an, bis die Mailbox ansprang. Wenige Sekunden später das Gleiche. Himmel, was hatte sie da nur für einen Klingelton. Irgendein unmelodisches Gejaule. Grauenhaft. Dass Lin und ich nicht den gleichen Musikgeschmack teilten, hatten wir gemerkt, als sie sich meinen Wagen geliehen und ihre CD im Player vergessen hatte. Es war ein Wunder, dass mein Trommelfell keinen Schaden genommen hatte, bevor ich es schaffte, die Lautstärke auf ein erträgliches Maß runter zu drehen.
    Bevor es erneut klingeln konnte, schaltete ich es auf stumm, und während das Display blinkend schon wieder Andrews Nummer anzeigte, steckte ich es in die Hosentasche. Fröstelnd schlang ich die Arme um mich. In der Eile hatte ich an eine Jacke nicht gedacht und es war deutlich kühler geworden. Von dem lauen Spätsommerabend, den wir gestern so genossen hatten, keine Spur mehr. Die Dämmerung tauchte die Landschaft in weichzeichnende Unschärfe. Durch die meisten Fenster, die an mir vorbeiflogen, schien ein irgendwie tröstliches, gelbes Licht.
    Als ich noch klein war, hatte meine Mutter mich manchmal auf ihre Ausliefertouren für unsere kleine Reinigung mitgenommen. Wenn dann endlich alle Plastikhüllen überreicht waren und wir uns auf den Heimweg machen konnten, war es meistens schon dunkel und der Rückweg auf dem Land war lang und langweilig. Zum Zeitvertreib dachten wir uns Geschichten aus, über die Menschen hinter diesen gelben Rechtecken. Ich liebte diese Fahrten.
    Gott, sie fehlt mir so.

    Sie waren auf dem Weg in die Stadt, als der Unfall passierte. Wir wollten uns zum Essen treffen, endlich mal wieder alle zusammen, denn meine Schwester hatte gerade Semesterferien und war zu Hause. Ich freute mich irrsinnig darauf, sie zu sehen. Es war eines der wenigen Male, dass sie alle drei zusammen im Wagen saßen. Ich hatte gewartet und gewartet, endlose Male versucht, sie zu erreichen. Nach etwa einer Stunde ahnte ich, dass da was nicht stimmte und sie nicht nur in einem Stau feststeckten.Als dann mein Handy klingelte und eine mir fremde Männerstimme ernst fragte: »Spreche ich mit Frau Anna Marquardt?«, wusste ich es. Ich brach vorm Restaurant zusammen, kam erst im Krankenhaus wieder zu mir.
    Ein Lkw-Fahrer hatte auf der Umgehungsstraße die Kontrolle über seinen Truck verloren.
    »Aus ungeklärter Ursache.«
    So stand es im Polizeibericht. Der wild schlingernde Anhänger kippte direkt in einer unübersichtlichen Kurve um und riss die Zugmaschine mit sich auf die Gegenfahrbahn. Mein Vater hatte keine Chance auszuweichen. Es gab auch keine nennenswerten Bremsspuren. Sie rasten frontal mit voller Geschwindigkeit in den Truck. Der Beamte, der mir das alles in der Klinik erzählte, hatte hinzugefügt: »Sie waren alle drei sofort tot.«
    Als hätte mich das trösten sollen. Ich hatte ihn nur verständnislos angestarrt, bis er sich verlegen verabschiedete.

    »Wir sind gleich da. Ich werde Sie noch bis zum Steg begleiten.«
    Darius warf mir einen prüfenden Blick über die Schulter zu. Verstohlen wischte ich mir eine Träne aus dem Auge und nickte.
    »Ich habe nichts anderes erwartet.«
    Er brummte etwas Unverständliches und bog auf die kleine Straße ab, die am Fußweg zum Wasser endete. Mittlerweile war es ganz dunkel geworden. Vergeblich versuchte ich die Nachtschwärze zu durchdringen, aber es waren keine Lichter zu sehen. Darius reichte mir den Arm und ich musste an meinen ersten Abend mit Vik denken. Auch er hatte mir ganz Gentleman den Arm geboten, ohne seine Hilfe hätte ich es mit den hohen Hacken gar nicht bis zum Boot geschafft. Heute trug ich flache Stiefel, trotzdem hakte ich mich bei meinem aufmerksamen Beschützer unter, denn es war wirklich stockdunkel hier draußen.
    Nach wenigen Metern blieb Darius alarmiert stehen.
    »Was ist?«
    Er hob die Hand, gebot mir zu warten, sog tief die Luft durch die Nase

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