V wie Viktor
mittlerweile aufgetaut und eine angenehme, kurzweilige Gesprächspartnerin. Wir tratschten und lachten über »unsere« Männer, wobei ich mir immer wieder in Erinnerung rufen musste, dass sie noch ahnungslos war.
Ich erfuhr, dass sie 31 war, nach einem langweiligen BWL-Studium durch Zufall in einer Werbeagentur gelandet war und dort ungeahnte Talente an sich entdeckt hatte. Andrew hatte sie auf dem Rückweg von einer Dienstreise kennengelernt, als man ihnen beiden versehentlich den gleichen Wagen vermietet hatte. Es hatte sofort gefunkt. Noch wunderte sie sich nicht darüber, dass sie sich nur abends und nachts treffen konnten. Aber das würde sich noch ändern.
Nach einer halben Stunde kamen die beiden zurück, zwar beide lächelnd, aber ich sah ihnen an, dass sie ihre Besorgnis mühsam überspielten. Darius versorgte uns mit Espresso und Wein und durch Lin waren wir gezwungen, uns »normal« zu unterhalten. Bald entspannten sich die beiden Männer wieder etwas. Die Zeit verging wie im Flug, und als ich zufällig einen Blick auf die Wanduhr warf, stellte ich erstaunt fest, dass es weit nach Mitternacht war. Andrew war meinem Blick gefolgt und schob nun entschlossen seinen Stuhl zurück.
»Lin Süße. Wir sollten uns langsam verabschieden, ich bring dich nach Hause. Das kann ja ein bisschen dauern.«
Er zwinkerte uns verschwörerisch zu und sie lachte verlegen. Wir verabschiedeten uns sehr herzlich und versprachen uns ein baldiges Wiedersehen. Andrew nahm mich fest in die Arme, flüsterte mir ins Ohr: »Er will es absolut nicht glauben, aber ich befürchte, dass du recht haben könntest. Rede mit ihm, das braucht er jetzt.«
Wir setzten uns wieder an den Tisch, Viktor lehnte sich im Stuhl zurück und seufzte aus tiefstem Herzen.
»Mac hat sich ein bisschen erkundigt, aber er konnte keine direkten Beweise finden. Er findet, ich sollte mir Sasha mal vorknöpfen.«
»Und was findest du?«
»Ich hab keine Ahnung! Wahrscheinlich hat er recht, ich muss mit ihr reden. Am liebsten würde ich es schnell hinter mich bringen. Aber dann müsste ich dich jetzt alleine lassen …«
Er sah mich von unten mit hochgezogenen Augenbrauen an. Diesem Dackelblick hatte ich nichts entgegenzusetzen, das wusste er ganz genau.
»Na dann los. Verschwinde schon.«
Er sprang auf, umarmte mich fest und sagte: »Nicht weglaufen, ich komme wieder!«
Ich folgte ihm zum Ausgang, küsste ihn zum Abschied und sah ihn durch die Tür gehen – und dann sah ich nichts mehr. Er war weg. Einfach so.
Wenn mich das Gedankenlesen schon beeindruckt hatte, dann war ich jetzt vollkommen geplättet. Wie vom Blitz getroffen stand ich in der offenen Tür und starrte ins Leere. Auch wenn ich diesen Mann jetzt schon über alles liebte, gab es doch Momente, in denen er mir ein wenig unheimlich war.
6.
Ich schloss die Tür und aktivierte die Alarmanlage wieder. Viktor hatte mir erklärt, dass das Häuschen, neben den normalen Sicherheitsvorkehrungen gegen Unbefugte, auch mit diesem mysteriösen Schutzschild versehen war. Nach dem Schrecken der letzten Nacht hatten die beiden Männer den Schild noch etwas verändert, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholen konnte. Jetzt konnte nur Viktor selbst ihn ausschalten. Etwas unschlüssig stand ich da und sah mich um. Das geräumige Zimmer, vorher so freundlich und einladend, kam mir jetzt fremd und leer vor. Aus der Küche hörte ich Geschirr klappern und ein fröhliches Frauenlachen, aber danach stand mir jetzt nicht der Sinn. Am anderen Ende gab es noch zwei Türen, ich beschloss nachzusehen, was sich dahinter verbarg. Durch eine von beiden waren Viktor und Andrew zuvor verschwunden, also steuerte ich diese zuerst an.
Ein riesiger, antiker Schreibtisch dominierte den Raum, daneben gab es noch einen kleineren Tisch mit drei bequemen Sesseln und an der Wand ein großes Bücherregal. Dunkles Holz und braune Lederbezüge wirkten zwar gemütlich, aber auch sehr männlich, ein typisches Büro eben. Neugierig sah ich mir das Regal näher an und entdeckte in einem Teil davon eine ganze Reihe gerahmter Fotos. Auf den meisten war Viktor mit Personen, die ich nicht kannte, aber es gab auch einige von Viktor und Andrew. Sie standen sich wirklich sehr nahe, das konnte man auf den Bildern sehen. Daneben ein Bild von Viktor und Sasha. Ich nahm es heraus und betrachtet es genau. Er hatte den Arm um sie gelegt und sah lächelnd in die Kamera. Sie hingegen sah ihn an, nein, sie himmelte ihn an. Die grünen Augen jagten
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