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V wie Viktor

V wie Viktor

Titel: V wie Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Schwarz
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Staunen die Augen ausgefallen. Sie hatte damals über meine Versuche am Seil immer nur milde lächelnd den Kopf geschüttelt. Am Fenster angekommen, krallte ich mich am Rahmen fest und zog den Oberkörper nach draußen. Der Anblick, der sich mir bot, war so kurios, dass ich in schallendes Lachen ausbrach.
    Lin saß in zwei Meter Entfernung in einer Schubkarre voller Mist, das Seil fest um sich und die Karre verschlungen. Ihr Gesichtsausdruck war unbeschreiblich.
    »Komm endlich runter. Und wenn du das jemals irgendjemandem erzählst, muss ich dich töten.«
    Ich zwängte mich ganz durch das schmale Fenster, im Gegensatz zu Lin konnte ich mich nicht richtig drehen, also plumpste ich fast kopfüber nach unten. Gott sei Dank in dichtes weiches Gras, trotzdem gab das sicher ein paar hübsche blaue Flecken. Aber im Moment war mir das so was von egal, genau wie der unglaubliche Gestank, der von meiner Retterin ausging. Es hinderte mich nicht daran, sie in die Arme zu reißen und abzuküssen.
    »Das vergess ich dir nie! Niemals!«
    Sie lächelte stolz, befreite sich dann von mir und dem Seil und sah an sich herunter.
    »So eine Scheiße. Wortwörtlich.«
    Wir lachten bis zur Hysterie, fielen ins Gras und hielten uns die Bäuche. All die Ängste und die Panik der vergangen Stunden machten sich darin Luft. Außer Atem lagen wir schließlich nebeneinander und sahen uns an.
    »Machen wir, dass wir hier wegkommen. Noch mal zieh ich so eine Nummer nicht für dich ab. Außerdem wird es immer später.«
    Sie hatte recht, die Sonne war wieder ein gutes Stück gewandert. Ich verfluchte mich für die blöde Angewohnheit, nie eine Uhr zu tragen, aber es war sicher schon früher Nachmittag. Hinter der Halle lag eine große Wiese und dahinter schloss sich ein Wald an. Perfekt, um sich vor neugierigen oder feindlichen Blicken zu schützen.
    »Hast du eine Ahnung, wo wir überhaupt sind?«
    Lin schüttelte den Kopf.
    »Nein, keinen Schimmer. Aber irgendwann hört der Wald wohl auch wieder auf. Wir werden sehen, wo wir rauskommen.«
    Wir marschierten los. Nach einiger Zeit dachte ich an die Wasserflaschen, die ich hätte mitnehmen können, mein Mund war völlig ausgetrocknet.
    Nichts zu machen. Also weiter!
    Die Zeit verging, wir liefen und liefen, aber der Wald nahm kein Ende. Zeitweise hatte ich sogar den Eindruck, dass die Bäume immer dichter wurden.
    »Puh … Ich kann nicht mehr. Pause!«
    Sie ließ sich ins Gras fallen, streckte alle vier von sich.
    »Es wird langsam dunkel. Wenn wir hier nicht bald rauskommen, müssen wir im Freien schlafen.«
    Nein Süße! Ich werde Hilfe rufen! Und diesmal wird Viktor mich hören! Diesmal funktioniert es! Es muss!
    Ich antwortet nicht, zuckte nur die Schultern. Sie sah mich mit einem seltsamen Blick an, beließ es aber dabei. Wir rafften uns wieder auf, allerdings mit deutlich weniger Elan als zu Anfang. Aber das war kein Wunder. Wir waren schon Stunden unterwegs, hatten weder gegessen noch getrunken, langsam ließen die Kräfte nach. Als die Sonne endgültig untergegangen war und wir kaum noch die Hand vor Augen sehen konnten, stoppten wir wieder. Wir machten es uns, so gut es ging, unter einem Baum im Schutz eines Busches bequem und schmiegten uns dicht aneinander, denn es war kalt geworden. Lin zitterte schon, sie hatte wesentlich weniger Polster auf den Rippen und war entsprechend kälteempfindlicher. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, als ich die Augen schloss und mich auf Viktor konzentrierte. Im ersten Moment gelang es mir nicht, ich konnte sein Gesicht nicht sehen.
    Denk an Blau. Wunderschönes, intensives Veilchenblau.
    Sofort sah ich ganz klar seine Augen vor mir, so nah, dass ich versucht war, die Hand nach ihm auszustrecken.
    Hilfe! Liebster, hilf mir. Ich brauche dich!
    Mit aller Kraft schickte ich diesen Gedanke hinaus, wieder und wieder. Aber es geschah nichts. Doch ich gab nicht auf. Ich konnte nicht aufgeben! Dazu hatte ich viel zu große Angst. Angst vor diesem in seiner Dunkelheit unheimlichen Wald. Vor der bloßen Möglichkeit, dass uns jemand anderes — ich wagte nicht, seinen Namen auch nur zu denken — hier finden könnte. Ein leises Rascheln schreckte mich auf und alle meine Sinne schnellten auf Alarmbereitschaft hoch. Da bewegte sich jemand! Oder etwas! Und er-sie-es war schon sehr nah. Ich hielt den Atem an und riss die Augen weit auf, aber es nutzte nichts. Ich konnte in den Schatten nichts erkennen. Lin musste es auch gehört haben, denn sie zupfte

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