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V wie Viktor

V wie Viktor

Titel: V wie Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Schwarz
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doch rein. Fühl dich wie zu Hause. Kann ich dir etwas anbieten?«
    Er hatte einen unverbindlichen Plauderton angeschlagen.
    Ok.
    Ich folgte ihm ins Wohnzimmer und war überwältigt. Riesengroß, überall dunkel schimmerndes Parkett, eine fantastische, weiße Stuckdecke, liebevoll ausgesuchte Möbel. Die hohen Sprossenfenster waren zwar leider durch ähnlich massive Rollos verschlossen wie das Landhaus, aber das tat der Gesamtwirkung keinen Abbruch. Ein riesiges, knallrotes Sofa dominierte den hinteren Teil des Zimmers und direkt vor mir stand ein echter Steinway Konzertflügel.
    »Wow! Das ist wirklich umwerfend.«
    Ich trat näher, fuhr andächtig mit den Fingerspitzen über den schwarzen Lack der Tastenklappe. Andrew kam aus einem angrenzenden Raum mit einem Tablett mit zwei dampfenden Tassen zurück und stellte es auf dem Tisch ab.
    »Milch? Zucker? Du trinkst doch Kaffee?«
    »Ja, gerne. Nur Milch. Spielst du Klavier?«
    Er lächelte, während er Milch in eine der Tassen gab und sie zu mir brachte.
    »Ein bisschen. Ich bin aber ziemlich aus der Übung.«
    Für ›ein bisschen‹ war das allerdings ein höchst kostspieliges Instrument.
    Ich nahm die Tasse entgegen und nippte vorsichtig. Natürlich war mir aufgefallen, dass er sorgfältig vermied, meine Finger zu berühren.
    »Kann ich dir sonst noch was Gutes tun? Also … ich meine … «, er wurde tatsächlich rot, »möchtest du was essen? Oder dich hinlegen?«
    »Nein, gar nichts. Danke.«
    »Darf ich dich ein paar Minuten allein lassen und mich etwas frisch machen? Es geht ganz schnell und du bist hier absolut sicher!«
    Er war rührend in seiner Sorge um mich.
    »Natürlich! Hey, du bist hier zu Hause. Tu, was immer du magst.«
    Herrgott, wieso war denn auf einmal alles so zweideutig? Jetzt wurde ich ein wenig rot.
    »Machs dir bequem, ich bin gleich wieder da.«
    Er verschwand wieder im Gang, ich hörte, wie er unterwegs den Reisverschluss der Lederjacke öffnete und sie zu Boden fiel. Eine sehr seltsame Situation, wobei auch das nicht so richtig bei mir ankam. Es war ein Gefühl, als hätte mir jemand einen Filter vorgeschaltet, der sämtliche Emotionen dämpfte und auf ein Minimum reduzierte. In meinem Unterbewusstsein war mir klar, dass sie da waren und ich wusste auch, dass sie irgendwann wieder in voller Stärke zuschlagen würden. Eigentlich hätte ich davor Angst haben sollen.
    Ich drehte mich langsam einmal um meine eigene Achse, sah mich um und je mehr ich sah, desto besser gefiel es mir. Er hatte einen erlesenen Geschmack und zudem das Talent, Einzelstücke wie Möbel und Bilder, zu einem sehr harmonischen Ganzen zusammenzufügen. Die meisten Malereien zeigten das schottische Hochland, vor dem größten Bild direkt über dem Sofa blieb ich fasziniert stehen. Die smaragdgrüne Landschaft war wild und rau, aber atemberaubend schön.
    »Das ist Glen Coe, meine Heimat.«
    Ich hatte ihn nicht zurückkommen gehört. Er lehnte im Türrahmen, barfuß, hatte Jeans und Lederjacke gegen ein lässiges, weißes Shirt und eine weite, leichte Hose getauscht. Wie üblich hatte er Mühe, seine Mähne in einem Zopf zu bändigen und jetzt, da sie auch noch leicht feucht waren, kringelten sich ein paar rotgoldene Locken um sein Gesicht. Unwillkürlich schoss mir wieder das Wort ›atemberaubend‹ durch den Kopf.
    »Es ist wunderschön. Du vermisst es bestimmt.«
    »Ich war schon sehr lange nicht mehr dort.«
    Die Sehnsucht in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er trat gedankenverloren an den Flügel und folgte der Spur meiner Finger.
    »Andrew … Ich hätte doch einen Wunsch.«
    Er sah auf, nun wieder ganz wach und dienstbereit.
    »Spielst du etwas für mich?«
    Ein verlegenes Lachen.
    »Komm schon …«
    »Oh je. Wirklich? Ich bin aber nicht so besonders gut.«
    Ich sah ihn bittend an. Grinsend klappte er die Tasten auf und setzte sich.
    »Was willst du denn hören?«
    »Egal. Spiel einfach. Irgendwas.«
    Die Hände schon über den Tasten schwebend, überlegte er einen Moment — und begann zu spielen, eine langsame, zarte Melodie, die mir völlig unbekannt war. Das Stück hatte eine leicht melancholische Nuance und in ihm schwang die gleiche Sehnsucht mit, wie ich sie vorher in seiner Stimme gehört hatte. Ich setzte mich auf das Sofa, versank in den weichen Kissen und betrachtete ihn. Er wurde mit jeder Sekunde sicherer. Es war akustisch und optisch der pure Genuss. Ein sprichwörtlicher Berg von einem Mann, strotzend vor Kraft und Testosteron, der diesem

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