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grenzte es an ein Wunder, dass ich weder den Tee verschüttete noch mich beim Brotschneiden verletzte. Kaum waren sie mit ihren vollgepackten Rucksäcken hinter der Hausecke verschwunden, rannte ich geradezu ins Bad. Es war noch zu früh, um zur Haltestelle zu gehen, aber ich hatte eine Idee. Die Kinder hatten einen solchen Haufen Klebe-Tattoos gehortet, dass es ihnen höchstwahrscheinlich nicht auffallen würde, wenn ein paar fehlten. Ich fand, dass die Brustspitzen ein bisschen mehr Dekoration vertragen konnten und ging ans Werk. Das Ergebnis konnte sich in meinen Augen durchaus sehen lassen: Um den Warzenhof herum schlang sich ein keltisches Schlangenornament. Den Kopf hatte ich so platziert, dass es wirkte, als spuckte die Schlange den glänzenden Tropfen der Busenkette aus. Als ich mich drehte, um mich auch aus anderen Blickrichtungen zu kontrollieren, baumelten die Tropfen geradezu aufreizend. Zufrieden mit dem Ergebnis und weil es so gut klappte, blätterte ich durch den Stapel mit den Tattoos. Vielleicht noch ein Fisch neben den Bauchnabel, mit dem Nabel als Luftblase? Nein, weniger war mehr. Ich wollte ja nicht als Galerie anfangen.
Als es soweit war, legte ich wieder alles an, schlüpfte in die Pumps und schlang den Gürtel um den Trenchcoat. Der leichte Sommerstoff fiel leicht und elegant an mir herab. Ich überprüfte, ob sich irgendetwas durchdrückte, aber alles sah absolut harmlos aus – als trüge ich ein Kostüm unter dem Mantel. Dabei streifte der Stoff bei jedem Schritt meinen nackten Hintern wie eine streichelnde Hand.
An der S-Bahn-Haltestelle standen nur ein paar Touristen und ein älteres, distinguiertes Paar. Ich suchte mir einen Platz gegen die Fahrtrichtung, zog den Mantel über meinen Knien zusammen und setzte mich vorsichtig. Der Trenchcoat war mit Knöpfen sparsam ausgestattet. Oben stand er offen, bis zwischen meine Brüste und unten bis fast zu meiner Scham. Mit jeder Haltestelle füllte sich der Wagon mehr. Mir gegenüber ließ sich ein Yuppie mit Laptop nieder. Wenn er sich unbeobachtet glaubte, stierte er mir in den Ausschnitt. Ich bewegte mich ein wenig und schlug die Beine übereinander. Der Mantel fiel auf und ließ einen Oberschenkel bis fast zum Ansatz sehen. Mein Gegenüber vergaß, so zu tun, als ob er arbeitete und starrte ungläubig. Lässig, nicht zu hastig, zog ich den Mantel wieder zurecht und gähnte durch die Nase. Da ich ihn nicht zu einem Annäherungsversuch ermutigen wollte, konzentrierte ich mich die letzten beiden Stationen über auf die Häuserzeilen, die draußen vorbeiflogen. Zu meiner Erleichterung konnte sich mein Gegenüber nicht zu einem Kontaktversuch durchringen. Aber ich fühlte seine gierigen Blicke in meinem Rücken, als ich aufstand und mich in die Schlange der Aussteigenden einreihte.
Das gründerzeitliche Fabrikgebäude, in dem Markus sein Atelier hatte, lag um die Ecke. Es wirkte verlassen und vernachlässigt. Zwischen den abgerundeten Stufen am Eingang hatten sich hübsche Pionierpflanzen angesiedelt. Ich drückte die Klinke der schweren Eingangstür herunter. Sie schwang überraschend leicht auf, ohne Quietschen und ohne Knirschen. Direkt vor mir tanzten Staubpartikel im einfallenden Licht. Durch die Staubwolke hindurch konnte ich nicht viel erkennen. Ich warf einen Blick rechts und links auf den Türstock: weder Namensschilder noch Klingelknöpfe. Davon hatte Rüdiger nichts gesagt, obwohl er das Haus genau beschrieben hatte. Ich trat einen Schritt über die Schwelle und rief: »Markus?«
Rasche Schritte näherten sich im oberen Stockwerk, eine Tür wurde aufgestoßen. Aha, da rechts führte eine breite Treppe mit einem Absatz ins Obergeschoss. Das Licht von oben erlaubte mir eine kurze Orientierung.
»Komm hoch, ich bin hier oben!«, rief mir der Wolf zu.
Ich ließ die Tür ins Schloss fallen und begann, die dunkle Treppe hinaufzusteigen. Er eilte mir entgegen. Ehe ich reagieren konnte, hatte er meine Handgelenke gepackt und mich rückwärts gegen die Wand gepresst. Da ich einen Fuß bereits auf der nächsten Stufe stehen hatte, bereitete es ihm keine Schwierigkeiten, sich zwischen meine Beine zu zwängen und sein Becken heftig an mir zu reiben. Sein Kuss erschreckte mich. Unmittelbar und brutal drängten seine Lippen die meinen auseinander und seine Zunge nahm mir die Luft. Die Spange zwischen meinen Schenkeln war nicht für solch heftigen Körperkontakt konzipiert. Sie zog bei jeder seiner Bewegungen schmerzhaft an meinen Schamlippen.
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