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lassen. Frau Stegmaier mochte es vielleicht noch kopfschüttelnd akzeptieren, dass ihre komische Nachbarin an einem solchen Sommernachmittag in einem Mantel herumlief. Was sie hingegen sicher nicht ohne weiteres akzeptieren würde, wäre, wenn die in einer solchen Aufmachung aus einem fremden Auto steigen würde. Ein scharfer Blick auf Markus’ gut geschnittenes Gesicht würde sogar ihre nicht gerade blühende Fantasie unnötig beflügeln. Mein Bedürfnis, Gegenstand solch gutnachbarschaftlichen Interesses zu werden, hielt sich in Grenzen. Und tatsächlich, kaum steckte ich den Schlüssel ins Schloss, schob sich bereits der bekannte Kopf, gekrönt von ihrem unvermeidlichen, kessen Kopftuch, um die Hausecke. Ich flüchtete hinein. Gerade jetzt fühlte ich mich ihr in keiner Weise gewachsen. Rüdiger pflegte früher die ständig vorgetragenen Wünsche der Kinder nach einem Hund mit den Worten abzuschmettern: »Wir brauchen keinen Hofhund. Wir haben Frau Stegmaier.«
Drinnen beeilte ich mich, Mantel und Pumps auszuziehen und stellte mich vor den Spiegel. Zu meiner Überraschung sah ich aus wie immer. Die Brustkette, die Spange und die Kugeln hatte ich mich geweigert mit nach Hause zu nehmen. In meinem Nachtkästchen lagen bereits der alte Minivibrator, der mir seit Jahren treue Dienste leistete, das Ei von Ars Amandi, ein Probefläschchen Gleitmittel und die blöden Geishakugeln aus unserer wilden Anfangszeit. Eigentlich hatte ich sie längst wegwerfen wollen, denn im Liegen merkte man weniger von ihnen als von einem Tampon. Sobald ich mich mit ihnen erhob – und selbst wenn ich alles zusammenkniff – fielen sie heraus. Wenn mein übersichtliches Erotik-Arsenal sich schlagartig verdoppelte, würde es Rüdiger auffallen.
Durch die stressige Zeit der letzten Schultage vor den großen Ferien und durch die ersten freien Tage, in denen sich das Gepäck für die jeweiligen Ferienaufenthalte der Familienmitglieder überall stapelte, hatte ich keine Zeit nachzudenken. Irgendwann waren die Kinder abgereist. Rüdiger würde für zehn Tage zu einem alten Schulfreund fahren, den ich nicht ausstehen konnte. Am Abend vor seiner Abreise saßen wir gemütlich bei einer Flasche Wein auf der Terrasse hinter unserem Haus und lauschten dem Grillenzirpen.
Rüdiger hatte ein wenig Erholung dringend nötig. Seine Vorfreude auf den alten Kumpel war mir unverständlich, aber ich gönnte sie ihm von Herzen. Meine Großzügigkeit entsprang vielleicht auch dem schlechten Gewissen. Ich hatte ihn in der Zeit seiner Ausstellung ziemlich allein gelassen. Nicht, dass ich ihm bei der Arbeit eine große Hilfe hätte sein können. Bereits zu Anfang seiner Karriere hatten wir uns auf das Prinzip der Arbeitsteilung geeinigt, was darauf hinauslief, dass ich möglichst alles erledigte – ohne ihn mit Dingen zu belästigen, die ihm sowieso gleichgültig waren. In den letzten Jahren schien unser gemeinsames Leben einen immer kleineren Teil einzunehmen. Absicht war es wohl bei keinem von uns. Rüdiger vergaß niemals unseren Hochzeitstag und ich konnte mich an kein böses Wort zwischen uns erinnern. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass unsere Beziehung immer freundschaftlicher, gemütlicher wurde. Für ihn schien unser Zuhause ein Schonraum zu sein, aus dem er sich gestärkt in den Arbeitskampf warf. Mir fehlte etwas. Sollte das alles gewesen sein?
Genau genommen war ich gelangweilt vom täglichen Einerlei. Die Mutterpflichten forderten nicht mehr meine gesamte Energie. Wäre ich nicht so phlegmatisch, wäre ich vielleicht längst aktiver geworden. In meinen verrücktesten Fantasien war niemand wie Markus vorgekommen. Er faszinierte mich. Unter der verbindlichen Oberfläche glaubte ich eine dunkle Seite in ihm zu spüren. Markus war auf geradezu mephistophelische Art in mein Leben getreten. Er zog mich an und jagte mir zugleich Angst ein. Zum wiederholten Male fragte ich mich, was einen so ungewöhnlichen Mann an mir reizte. Hätte er mich auf traditionelle Art umworben, hätte ich mich niemals mit ihm eingelassen. Aber so? Wir spielten ein Spiel mit dem Feuer, aber eines, dessen Spielregeln nicht im Ratgeber für Seitensprünge zu finden waren. Alles schien so verlockend ungefährlich. Niemandem wurde etwas weggenommen. Körper und Seele blieben sauber getrennt. Der Körper von Amanda für Markus, die Seele von Annette für Rüdiger. Mein Mann riss mich jäh aus meinen Überlegungen:
»Übrigens habe ich Markus erzählt, dass du für zehn Tage allein
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