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v204640

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Titel: v204640 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Calaverno
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Gefühl, dass er mich als eine Art Onkel betrachtet – mehr als Kumpel. Viel Kontakt hatten wir nie. Letzten Sommer muss es passiert sein, als ich für ein paar Tage in seinem Elternhaus war. Da hat er sich in mich verliebt.«
    Ich musste lachen.
    »Du hast gut lachen! Ich dachte damals auch, dass es eine pubertäre Verwirrung wäre. Bald würde er wieder Mädchen hinterherrennen.«
    »Was hast du gemacht?«
    »Am Anfang habe ich ihm verständnisvoll zugehört und ihm erklärt, es wäre sicher nur vorübergehend. Ein Vierteljahr später hat er mir gesagt, er sei sich jetzt sicher, schwul zu sein und ebenso sicher, mich zu lieben. Ich sagte ihm, dass ich Frauen vorzöge. Er behauptete, das störe ihn nicht, solange ich mich von ihm lieben ließe.«
    »Hast du mit den Eltern gesprochen?«
    »Unmöglich. Wenn herauskommt, dass ihr einziger Liebling homosexuell ist … Egal, jedenfalls rennt er mir nach wie ein Hund. Stell dir vor: Er hat sich, angeblich mir zum Gefallen, ein Penis-Piercing bei irgendeinem Pfuscher machen lassen. Das hatte sich stark entzündet und ich hatte ihn gedrängt, die Klinik aufzusuchen. Heute wollte ich schauen, wie es ihm geht. Das ist die ganze Geschichte.«
    Dann hatte ich also Ganymed meine Bekanntschaft mit Dr. Medicus zu verdanken. Blöde Teenager …

Kapitel 10:
Dünnes Eis
    In Gedanken an unsere Unterhaltung vom Vorabend fuhr ich am nächsten Tag mit dem Auto zum Atelier. Schließlich hatte ich einen offiziellen Termin zum Modellstehen. Beschwingt tänzelte ich die immer noch dunkle, aber nicht mehr unbekannte Treppe hinauf und rauschte ins Atelier.
    »Hallo Markus! Schläfst du etwa …?«
    Der Rest des Satzes wurde von einer großen, schwieligen Hand erstickt, die sich mir über Mund und Nase legte und mich zu ersticken drohte. Verzweifelt rang ich nach Luft und sog dabei ein Gemisch von Schweiß, Maschinenöl, Leder und Nikotin ein. Ich bäumte mich auf und meine Hände zerrten an speckigem Leder. Es dauerte ein paar Schrecksekunden, bis ich mich an das Selbstverteidigungstraining erinnerte und dass uns eingebläut worden war, nicht am Arm zu zerren, sondern nach hinten zu treten und die Ellenbogen einzusetzen. Leider verschwamm da bereits alles vor meinen Augen und waberte wie in einem Alkoholrausch. Mit letzter Kraft trat ich gegen ein so gut geschütztes Schienbein, dass der Typ von meinem Versuch vermutlich gar nichts mitbekam. Dann versuchte ich mich noch an der Parodie eines Ellenbogenstoßes. Ein Arm drückte fester gegen meine Rippen und die Masse hinter mir bebte kurz. Er fand meine Gegenwehr offenbar unterhaltsam. Das Bild vor meinen Augen waberte nicht mehr, sondern schien in einem dunklen Tunnel zu verschwinden. Ich begann, mich leicht zu fühlen, federleicht …
    Mit einer für die Masse erstaunlichen Geschwindigkeit ließ mein Widersacher mich plötzlich los, packte meine Arme und riss sie nach hinten. Etwas schnappte kalt und hart um meine Handgelenke. Ich schnappte nach Luft. Zwei, drei tiefe Atemzüge und die Welt hatte mich wieder. Auch wenn ich nicht ganz sicher war, ob meine Wahrnehmung korrekt funktionierte: Die halbfertigen Plastiken im Atelier schienen mich hämisch zu beobachten.
    »Wieder klar, Tussi?«
    Sein heißer Atem umhüllte meinen Kopf mit Ekel erregenden Dünsten. Mir wurde übel.
    »Musst du kotzen?«
    Unzeremoniell, aber effektiv klemmte er mich unter den Arm und schleppte mich zur Toilette, wo er mich über der Kloschüssel niederdrückte. Doch zu meinem Bedauern blieb das Frühstück unten. Riesige Pranken zogen mich hoch und zerrten mich quer durchs Studio zum Bett.
    »Dann wollen wir doch mal sehen, was du so zu bieten hast, Puppe.«
    Mit einem Schwung, der mir schon wieder die Luft herauspresste, flog ich auf die Matratze. Dummerweise aufs Gesicht, denn die Handschellen ließen mir keine Chance, mich abzufangen. Er klatschte mir schmerzhaft auf den Hintern.
    »Nicht übel. Lass mal sehen, wie du vorne ausschaust!«
    Ich wurde grob umgedreht und blickte in ein Gesicht, das einem Albträume verursachen konnte: Vom unteren Teil sah man nicht allzu viel, denn es wurde bedeckt von einem verfilzten Vollbart in Mausbraun. Das Haupthaar hing in fettigen Strähnen herunter. Rot unterlaufene Schweinsäuglein musterten mich scharf, eingebettet zwischen buschigen Brauen. Zahlreiche Adern durchzogen die Fettwülste seiner Backen. Mit einem Jammerlaut kniff ich die Augen zu, um nicht mehr in dieses Antlitz blicken zu müssen.
    »Magst du mich etwa nicht,

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